Im Kongress standen die Verhältnisse Kopf: Bei der Abstimmung über ein zusätzliches Kriegsbudget probten mehr als 100 Demokraten eine Palastrevolte gegen Obama. Kriegsgegner im demokratischen Flügel sind im Aufwind.
WASHINGTON. Im Kongress standen die Verhältnisse auf dem Kopf: Bei der Abstimmung über das zusätzliche Kriegsbudget von 37 Mrd. Dollar probten mehr als 100 demokratische Abgeordnete des Repräsentantenhauses – immerhin mehr als ein Drittel der Fraktion – eine kleine Palastrevolte gegen das Weiße Haus. Währenddessen votierten die Republikaner beinahe geschlossen für die Vorlage der Regierung – eine absolute Seltenheit.
Den regulären Kriegsetat von 130 Mrd. Dollar für 2010 hatte der Kongress weitgehend ohne Murren gebilligt. Im Vorjahr hatten nur 32 Demokraten gegen den Finanzplan für die Kriege in Afghanistan und im Irak gestimmt. Der Rückhalt in den USA bröckelt. Auf die wachsende Antikriegsstimmung haben die jüngst von WikiLeaks veröffentlichten Militärdokumente den womöglich größten Effekt.
Holbrooke im Kreuzfeuer
Zwei Monate hatten die Abgeordneten die Abstimmung über die Sonderfinanzierung von weiteren 30.000 US-Soldaten hinausgezögert. Als sie nun auf der Tagesordnung stand, hat die Veröffentlichung des Dossiers über den Afghanistan-Krieg den Kriegsskeptikern im demokratischen Lager Flügel verliehen. Einer nach dem anderen trat ans Rednerpult, um seine Zweifel kundzutun. „Ich denke, es ist an der Zeit, Nein zu sagen“, erklärte der kalifornische Polit-Veteran Henry Waxman. Die Parteiführung um Nancy Pelosi unternahm nichts, um den Aufruhr in Schach zu halten.
Am Mittwoch geriet dann Richard Holbrooke, der US-Sonderbotschafter für Afghanistan und Pakistan, bei einer Anhörung ins Kreuzfeuer der Kriegsgegner. Auf der anderen Seite halten Militärexperten den Zeitplan für einen US-Rückzug aus Afghanistan für einen kapitalen Fehler.
Richard Haass, der Chef des „Council on Foreign Relations“, plädiert deshalb gleich jetzt für eine Zurückstufung des US-Kontingents, um die Verluste und die Kosten in Grenzen zu halten. Generalstabschef Mike Mullen hat die Amerikaner bereits darauf vorbereitet, dass die Opferzahlen im Sommer noch steigen werden.
Österreichische Granaten
Das Pentagon sucht unterdessen nach der undichten Stelle im Militärapparat, die die Papiere WikiLeaks zugespielt hat. Im Verdacht steht insbesondere der 22-jährige Soldat Bradley Manning. Unter der Chiffre „Bradass87“ hatte er sich gegenüber dem Hacker Adrian Lamo in einem Internet-Chat gerühmt, 150.000 Datensätze heruntergeladen zu haben. Manning hatte auch das Video des Hubschrauberangriffs in Bagdad weitergeleitet, das die Öffentlichkeit geschockt hat. Die US-Armee hat ihn schon Ende Mai verhaftet.
Indessen ist eine Spur nach Österreich aufgetaucht. In den US-Militärberichten ist mehrfach von Granaten und Mörsern österreichischen Fabrikats in den Händen der Taliban die Rede, berichtet die Onlineausgabe des „Standards“. Sie sind wahrscheinlich via Pakistan in deren Besitz gelangt. Ein Export von Kriegsmaterial bedarf der Genehmigung des Innenministeriums, das von einer Ausfuhr nach Afghanistan nichts weiß. Es habe nicht einmal eine Anfrage gegeben, heißt es in Wien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2010)