Reiterer: "Einbindung in Entscheidungen fehlt"

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Michael Reiterer, EU-Botschafter in der Schweiz, im Gespräch mit der "Presse" über den Königsweg der Schweiz, das EU-Regelwerk und einem Beitritt "light". Reiterer ortet neues Europa-Bewusstsein der Eidgenossen.

„Die Presse“: In Österreich wird der bilaterale Weg der Schweiz von EU-Kritikern gern als Ideal dargestellt. Die Schweiz habe die Vorteile des Binnenmarkts, müsse aber nicht alles mittragen, was aus Brüssel kommt. Ist das der Königsweg?

Michael Reiterer: Das ist in dieser Argumentation nicht richtig. Die Schweiz hat nicht den vollen Zugang zum Binnenmarkt. Der Dienstleistungssektor ist beispielsweise weitgehend nicht erfasst. Der wichtige Punkt der Nichtdiskriminierung von EU-Bürgern in einem anderen EU-Land ist in diesem bilateralen Weg ebenfalls nicht enthalten. Zum anderen fehlt ein Mechanismus für eine Streitbeilegung. Und es fehlt vor allem eine Einbindung der Schweiz in gemeinsame Entscheidungen – vergleichbar mit der EWR-Teilnahme oder mit der Vollmitgliedschaft in der EU. Das stört die Schweiz ja auch. Aus Souveränitätsgründen will man an EU-Entscheidungen, die das Land betreffen, beteiligt sein. Das ist eine Problemstellung, die es für ein EU-Mitgliedsland nicht gibt.

EU-Kommissionspräsident José Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy haben zuletzt auch vonseiten der Europäischen Union Unzufriedenheit mit dem bilateralen Weg der Schweiz geäußert. Denn die Schweiz halte mit der dynamischen Entwicklung des EU-Regelwerks nicht mehr mit.

Reiterer: Auch das EU-Parlament hat in einer Studie auf solche Mängel des bilateralen Wegs hingewiesen. Der sektorielle Weg war ja eine Folge der Ablehnung des EWR in einer Volksabstimmung 1992. In der Zwischenzeit ist die EU eine andere geworden. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Und das ist auch der Grund für den Aufruf, der aus den EU-Institutionen kommt. Wir müssen zu einer gemeinsamen, besseren Lösung finden.

Die Christlichdemokratische Volkspartei CVP hat zuletzt in der Schweiz für einen Beitritt „light“ geworben. Wäre das eine Lösung?

Reiterer: Beitritt „light“ oder EWR „light“, das sind Schlagworte. Das müsste man mit konkreten Inhalten füllen, um das bewerten zu können. Beiden Ideen gemeinsam ist jedoch ein institutioneller und judizieller Rahmen, das ist positiv.

Es wird ja in der Türkei-Debatte auch ein Mittelweg in Form einer von Deutschland forcierten privilegierten Partnerschaft gesucht. Gerade durch das Beispiel Schweiz muss man sich aber fragen, ob es rein rechtlich überhaupt eine Alternative zum Beitritt gibt.

Reiterer: Es laufen Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, der Türkei und mit Island. Da wird derzeit keine Zwischenlösung angedacht.

Führt letztlich auch für die Schweiz kein Weg an der Vollmitgliedschaft oder am EWR-Beitritt vorbei?

Reiterer: Ich will da der innerschweizerischen Debatte nicht vorgreifen, in der verschiedene Varianten diskutiert werden. Ich bin froh, dass eine offene Diskussion entstanden ist. Und dass es ein Bewusstsein für einen Änderungsbedarf gibt. Es wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe EU-Schweiz eingesetzt, die bis Jahresende Vorschläge erarbeiten soll. Für mich ist das ein Ergebnis-offener Prozess.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2010)

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