Der bisher längste EU-Gipfel brachte eine Budgeteinigung, mit der alle 27 Staaten leben können – jedoch auch schwere Rückschläge für die Verteidigung des Rechtsstaats und die Klimapolitik.
Dienstagmorgen, 5:28 Uhr, das Telefon brummt. „Applaus im Plenum! Schlussfolgerungen angenommen!“, lautet die Nachricht eines Ohrenzeugen der Verhandlungen um die EU-Finanzen an die „Presse“. Nachsatz: „Was für verrückte fünf Tage!“
Tatsächlich war dieser Europäische Rat außergewöhnlich. Nicht nur, weil er der bisher längste war und somit jenen von Nizza vor 20 Jahren ausstach. Sondern auch, weil er etwas schuf, das zu Jahresbeginn noch utopisch erschienen wäre: gemeinsame Anleihen der EU, über die Budgettransfers im Ausmaß von 390 Milliarden Euro zwischen den Mitgliedstaaten – und da vorrangig von Norden nach Süden – finanziert werden.
Gewiss: auch das gewöhnliche Unionsbudget ist seit jeher so ein Umverteilungsmechanismus. Doch dass die Europäische Kommission an den Märkten Anleihen auflegen darf, um Umverteilung zu finanzieren: das ist Neuland, wenn auch nur auf drei Jahre beschränkt bis 2023.
Aus Eurokrise gelernt
Die Erleichterung über den hart errungenen Kompromiss war allen Sitzungsteilnehmern ebenso anzusehen wie ihre Erschöpfung. Von einer „Achterbahn der Gefühle“ sprach Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Kommission. Sie hob einen wesentlichen Aspekt hervor: „Anderes als in vorigen Krisen haben die Staats- und Regierungschefs nicht den Weg einer zwischenstaatlichen Lösung gewählt.“ Darin unterscheidet sich dieses in Summe einschließlich weiterer 360 Milliarden Euro an zurückzuzahlenden Hilfskrediten 750 Milliarden Euro umfassenden Paket zum Wiederaufbau der Konjunktur nach der Corona-Rezession von Europas Anwort auf die Eurokrise in den Jahren 2010 bis 2015.