Kolumne zum Tag

Überwältigt im Kinosaal

Clemens Fabry
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Kaum neue Filme im Kino. Und wenn doch, dann ungewohnte Genres, Schauspieler und Produktionsländer. Darin liegt aber die Chance, etwas Neues, Bleibendes zu entdecken.

Ende der 2000er-Jahre gab es einen außergewöhnlichen Kinosommer. Nachdem die Drehbuchautoren in Hollywood 100 Tage streikten und zahlreiche Produktionen lahmlegten, kamen ein paar Monate lang deutlich weniger Filme heraus, was zu einem dramatischen Einbruch der Besucherzahlen führte.

Es passierte aber auch etwas anderes. Weil in den Kinos plötzlich Slots frei wurden, bekamen Filme eine Chance, die es unter gewöhnlichen Umständen nicht auf die Leinwand schaffen, sondern direkt auf DVD oder im Pay-TV erscheinen würden. Filme, die weder über ein Budget für Kino-Marketing verfügen, noch für die breite Masse gedreht wurden. Für Cineasten boten diese Monate eine einzigartige Gelegenheit, außergewöhnliche Produktionen in halb leeren Kinosälen zu sehen und unvergessliche Erfahrungen zu machen.

Nun ist die aktuelle Situation natürlich nicht mit der damaligen zu vergleichen, Parallelen gibt es dennoch. Die meisten Kinos haben wieder geöffnet oder öffnen demnächst, die großen Publikumsmagneten werden aber ausbleiben, ihr Start wurde wegen der Sitzplatzbeschränkungen und der dadurch erwartbaren geringeren Einspielergebnisse auf unbestimmte Zeit verschoben. Für die meisten Kinos ist das natürlich eine Katastrophe.

Aber anstatt wieder zu schließen, machen viele aus der Not eine Tugend und zeigen entweder Klassiker wie etwa „Blues Brothers“ oder neue Filme, die ansonsten nur in Programmkinos oder auf Streamingdiensten zu sehen wären – wie beispielsweise „Die perfekte Kandidatin“ aus Saudiarabien.

Für Filmliebhaber, die selten ins Kino gehen, ist das eine gute Gelegenheit, auf Filmjuwele zu stoßen, von denen sie sonst wahrscheinlich nie etwas gehört hätten. Wie bei einem Filmfestival, bei dem man einfach nur auf sein Bauchgefühl hört und in Vorstellungen geht, ohne sich Gedanken zu machen oder einzulesen. Und von einer Geschichte aus dem anderen Ende der Welt überwältigt wird. Jeder kennt dieses Gefühl. Diese Euphorie. Diesen Rausch, von dem man in der Sekunde weiß, dass man ihn nie wieder vergessen wird.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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