Eigentlich hätten sich die Industrienationen bis Jahresende auf einen Vorschlag zur Besteuerung internationaler (Online-)Konzerne einigen sollen. Doch nach dem Ausstieg der US-Regierung aus den Verhandlungen zeichnet sich ein Alleingang der Europäer ab.
Brüssel. Es hätte der Beleg dafür sein können, dass die Staatengemeinschaft in der Lage ist, globale Standards zu setzen – stattdessen entwickelt sich das Hickhack um die Einführung einer Digitalsteuer zum unfreiwilligen Beweis für die Überlegenheit des sogenannten Brüssel-Effekts (siehe oben). Unter der Ägide der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) arbeiten die Industrienationen seit geraumer Zeit an einer Abgabe, die sicherstellen sollte, dass Unternehmen, die ihre Umsätze im Cyberspace erwirtschaften, dort steuerpflichtig sind, wo diese Umsätze in der Tat anfallen – und nicht in Steueroasen.
Doch seit dem abrupten Ausstieg der USA aus den Verhandlungen vor wenigen Wochen sind die Chancen auf Erfolg geschrumpft. „Wir haben keine Fortschritte erzielt“, erklärte der US-Handelsbeauftragte, Robert Lighthizer, während einer Anhörung vor dem Kongress. In einem Brief forderte US-Finanzminister Steven Mnuchin seine Kollegen in Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien dazu auf, die Verhandlungen zu suspendieren. Sollten die Europäer im Alleingang eine Digitalsteuer einführen, werde Washington mit Strafzöllen auf Einfuhren aus Europa antworten, hieß es weiter in dem Schreiben.
Aus der US-Perspektive ist die Abgabe insofern ein Problem, als sie sich vor allem gegen US-Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon richtet. Der Vorwurf ist korrekt – aber nicht zu hundert Prozent. Denn der OECD-Vorschlag hätte zugleich auch dem US-Fiskus die Möglichkeit eröffnet, europäische Luxuskonzerne stärker zu besteuern. Doch Washington wollte über eine geografische Koppelung von Umsätzen und Gewinnsteuern gar nicht verhandeln – sondern lediglich über eine Harmonisierung der Mindeststeuersätze.
Das wiederum geht den Europäern nicht weit genug. „Ich bedauere den Schritt der USA sehr, mit dem sie bei den internationalen Gesprächen zur Besteuerung der Digitalwirtschaft auf die Bremse getreten sind“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Die Brüsseler Behörde hat bereits mehrmals angekündigt, im Falle eines Scheiterns der OECD-Verhandlungen einen Vorschlag auf EU-Ebene zu erarbeiten. Nach dem Rückzieher der USA erklärte die Regierung in Madrid, Spanien und seine europäischen Verbündeten ließen sich nicht unter Druck setzen. Auch für Österreichs Finanzminister, Gernot Blümel, ist die US-Entscheidung „nicht nachvollziehbar“.
In Österreich gibt es seit 2019 eine Abgabe auf Online-Werbeumsätze. Frankreich, das seine Digitalsteuer von drei Prozent auf den Umsatz großer Internetunternehmen auf Druck von US-Präsident Donald Trump vorerst bis zum geplanten Ende der OECD-Verhandlungen Ende 2020 auf Eis gelegt hatte, kündigte umgehend an, die Abgabe noch in diesem Jahr zu aktivieren.
EU braucht neue Geldquellen
Dass eine europäische Digitalsteuer Gestalt annehmen dürfte, liegt auch an den Rahmenbedingungen. Die EU hat unter Hochdruck einen Wiederaufbauplan für die von der Coronapandemie besonders hart betroffenen Regionen und Branchen erarbeitet. Der rund 750 Mrd. Euro schwere Fonds soll planmäßig zu einem Teil aus neuen Einnahmequellen gespeist werden. Im Gespräch sind eine Plastikabgabe, Einnahmen aus dem Emissionshandel – sowie eine Digitalsteuer. (ag./la)