Arbeitsmarkt

Teurer Kampf gegen die Jobkrise

Die Jobkrise könnte junge Menschen besonders hart treffen, warnte die ILO.
Die Jobkrise könnte junge Menschen besonders hart treffen, warnte die ILO.imago images/Seeliger
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Wegen der Kurzarbeit war die Arbeitslosenquote in der Eurozone zuletzt nur halb so hoch wie in den USA. Einige Länder tragen noch die Lasten der vorigen Krise.

Wien. Am härtesten wird es die Jungen treffen – das erwartet die internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO). Die wirtschaftlichen Einschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus hätten weltweit 300 Millionen Jobs gekostet, diagnostiziert die ILO in ihrem Bericht „Covid-19 und die Arbeitswelt“. Im zweiten Quartal seien elf Prozent aller Arbeitsstunden weggefallen. Junge Menschen seien dreifach getroffen: Sie verlieren ihre Jobs, müssen ihre Aus- und Weiterbildung unterbrechen, und für jene, die jetzt die Schule abschließen, gebe es keine Arbeitsplätze. ILO-Chef Guy Ryder warnte deshalb vor einer „Generation Lockdown“. Die Kurzarbeit konnte ein echtes Drama auf dem Arbeitsmarkt vorerst verhindern. Aber manche Länder kämpfen noch mit den Altlasten aus der Finanzkrise und tun sich besonders schwer. Ein Überblick.

Eine Frage der Betrachtung

Auf den ersten Blick ist die Lage gar nicht so dramatisch. Zumindest, wenn man sich die Zahlen der EU-Statistikbehörde Eurostat ansieht. Die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Mai, dem dritten Monat der in den meisten Mitgliedstaaten geltenden Covid-19-Beschränkungen. Da waren laut Eurostat 14,4 Millionen Menschen in der EU arbeitslos, davon gut zwölf Millionen im Euroraum. Die Arbeitslosenquote lag im Mai in der EU bei 6,7, in der Eurozone bei 7,4 Prozent. Damit war sie im Euroraum sogar niedriger als im Mai des Vorjahrs. Obwohl die Pandemie die schärfste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte.

Dafür, dass die Arbeitslosenzahlen in der EU nicht explodiert sind, gibt es verschiedene Gründe. Die Eurostat-Zahlen basieren auf Schätzungen. Demnach gilt eine Person dann als arbeitslos, wenn sie in den letzten vier Wochen aktiv nach Arbeit gesucht hat und innerhalb der nächsten beiden Wochen eine Arbeit beginnen könnte. Wegen der Corona-Beschränkungen meldeten sich in Europa Hunderttausende Menschen arbeitslos, allein in Österreich 200.000 zusätzlich. Allerdings suchte ein erheblicher Teil jener, die bei den Arbeitsämtern gemeldet waren, nicht mehr aktiv nach einem Job. Zum einen, weil im Lockdown kaum neue Arbeitsplätze angeboten wurden. Zum anderen mussten viele Eltern ihre Kinder während der Schließungen zu Hause betreuen und standen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Auch wer eine Wiedereinstellungszusage hatte, galt laut der internationalen Definition nicht als arbeitslos.

Kurzarbeit hat viel abgefedert

Die Kurzarbeit hat die Jobkrise in Europa eingedämmt. Zahlreiche Länder in der EU haben neue Regelungen verabschiedet oder bestehende Instrumente ausgebaut. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat sie sich genauer angesehen. Die Unterschiede sind groß: Laut der Studie von Mitte Mai erhält ein durchschnittlicher Angestellter in Spanien bis zu 1830 US-Dollar im Monat, am meisten bekommen auf den ersten Blick Kurzarbeiter in den Niederlanden mit bis zu 5436 US-Dollar monatlich. Anders ist die Lage, wenn man sich nicht nur die Höhe des Kurzarbeitergeldes ansieht, sondern auch die maximale Bezugsdauer und die Kaufkraft. In den Niederlanden gibt es Kurzarbeitsgeld nur für drei Monate. So gerechnet bekommen Kurzarbeiter in Spanien am meisten, gefolgt von Frankreich, Finnland und Deutschland. Österreich landet auf Platz sechs, mit umgerechnet 16.307 US-Dollar über die gesamte Dauer.

Kurzarbeit sei, konstatiert die Industrieländerorganisation OECD, einer der Gründe, warum die Arbeitslosenquote im April in der Eurozone nur halb so hoch war wie in den USA. Sie mahnt die Regierungen aber auch, über den Ausstieg nachzudenken: Auf lange Sicht könnten mit Kurzarbeit nicht überlebensfähige Jobs subventioniert und Kündigungen auf später verschoben werden.

Länder kämpfen mit Altlasten

Über zehn Jahre liegt die Finanzkrise schon zurück. Die Arbeitslosigkeit kletterte als Folge auf ein Rekordhoch. Seither hat sich der Arbeitsmarkt in den meisten europäischen Staaten wieder erholt. Einige Länder schleppen aber immer noch verheerende Altlasten mit. In Spanien kletterte die Arbeitslosenquote der 15- bis 24-Jährigen nach der Finanzkrise auf 56 Prozent im Jahr 2013. Heute sind es immer noch 33 Prozent. In Italien betrug sie auf dem Höchststand 43 Prozent, heute sind es noch 29 Prozent. Und Griechenland hatte im Jahr 2013 fast 58 Prozent Arbeitslosenquote unter den Jungen, davon sind nach wie vor 35 Prozent übrig. All diese Länder hatten schon vor der damaligen Wirtschaftskrise eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Doch sie ist immer noch deutlich höher als davor. Österreich steht mit 8,5 Prozent im Vergleich ausgesprochen gut da.

Ein aussagekräftiger Indikator für die Lage der Jugend ist die Neet-Quote. Sie misst den Anteil der Jugendlichen, die weder arbeiten noch einer Ausbildung nachgehen. In den meisten EU-Ländern ist die Quote seit 2009 gesunken. Gestiegen ist sie vor allem in Ländern, die schon vor der Wirtschaftskrise Probleme hatten: etwa Griechenland und Italien. In Italien ist sie mit 22 Prozent am höchsten, gefolgt von Griechenland mit 18 Prozent.

Corona führte zu Rückgang bei den Arbeitsstunden

Im ersten Quartal hielt sich der europäische Arbeitsmarkt im Vergleich zu den USA gut – dank Kurzarbeit. Doch viele Industrien fürchten Stellenabbau im Herbst.

Luxemburg. Die Coronapandemie hat in der EU im ersten Quartal zu einem starken Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden geführt. Die Statistikbehörde Eurostat bezeichnete diese Entwicklung als „drastisch“, auch wenn sie bisher nicht an die niedrigen Werte während der Schuldenkrise heranreiche.

Zudem lag demnach die Abwesenheit vom Arbeitsplatz in den ersten drei Monaten wegen einer starken Zunahme der Kurzarbeit auf Rekordhöhe.

Die Statistiker veröffentlichten ergänzende Indikatoren zu Arbeitslosen- und Beschäftigungsquote, da diese allein „in dieser besonderen Situation zur vollständigen Beschreibung der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt“ nicht ausreichten. Durch die Coronakrise kam das wirtschaftliche Leben in der EU ab März durch Unternehmens- und Geschäftsschließungen weitgehend zum Erliegen. Die Arbeitslosigkeit stieg dennoch bisher nicht sprunghaft an.

Die Erwerbslosenquote legte von 6,4 Prozent im März auf 6,7 Prozent im Mai zu, womit Europa weit von der Entwicklung in den USA entfernt zu sein scheint. Dort war die Arbeitslosigkeit im April zwischenzeitlich von zuvor 4,4 auf 14,7 Prozent gesprungen. Die Statistiker warnten aber, dass negative Auswirkungen auf den EU-Arbeitsmarkt erst mit zeitlicher Verzögerung eintreten oder statistisch sichtbar werden könnten.

Erste, noch unvollständige zusätzliche Daten zur Krisenzeit unterstreichen dies. Eurostat zufolge waren in den ersten drei Monaten 2020 knapp 23 Millionen Menschen in der EU vom Arbeitsplatz abwesend – ein Anstieg um 4,3 Millionen gegenüber dem Vorquartal. Vom Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden waren Frauen Eurostat zufolge stärker betroffen als Männer.

Autoindustrie fürchtet Jobabbau

Viele Branchen rechnen allerdings damit, dass sich die Situation vor allem Ende des Jahres zuspitzen wird. Der Automarkt in Deutschland kommt nur in ganz kleinen Schritten aus der Krise. Nach einem Einbruch im Mai um fast die Hälfte schrumpften die Pkw-Neuzulassungen im Juni um ein Drittel auf 220.300 Fahrzeuge. In den kommenden Monaten werde sich die Pkw-Nachfrage wahrscheinlich weiter leicht erholen, sagte VDA-Chefin Hildegard Müller, sie werde aber nicht ausreichen, um den Beschäftigungsrückgang vor allem bei den Zulieferern zu stoppen.

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