Bruno D. fasste im Alter von 93 Jahren eine Jugendstrafe aus. Er war als 17- und 18-Jähriger SS-Wachmann im KZ Stutthof gewesen.
NS-Prozess

Der letzte Bewacher der Hölle

Es war der vielleicht letzte NS-Prozess der Geschichte: In Hamburg wurde ein 93-jähriger Pensionist wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Er hatte als Wachmann am Turm wohl den Überblick über das Grauen im Konzentrationslager Stutthof.

Berlin/Hamburg. Bruno D. ist auf den Bildern aus dem Gerichtssaal maskiert: Er trägt einen Hut auf dem Kopf und hält sich eine blaue Mappe vor das Gesicht, als er in den Saal geschoben wird. D. sitzt im Rollstuhl. Er war auch einmal ein „Rädchen“, ein „Rädchen einer Mordmaschinerie“: So sieht das die Staatsanwaltschaft und letztlich auch das Gericht, das D. am Donnerstag zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Es handelt sich um eine Jugendstrafe, verhängt von einer Jugendstrafkammer. Man muss dazu wissen: D. ist 93 Jahre alt. Aber 5232-fache Beihilfe zum Mord und einmalige Beihilfe zum Mordversuch verjähren nicht. D. war SS-Wachmann.

Dieser sogenannte Stutthof-Prozess könnte Geschichte schreiben, weil der Hamburger Pensionist möglicherweise der letzte Mensch ist, der wegen des Holocausts verurteilt wird. Es laufen zwar noch 14 weitere Verfahren, auch gegen zwei Wachleute im KZ Mauthausen. Aber ob sie jemals zu Ende geführt werden, ist fraglich. Dass D. noch verurteilt wird, liegt auch daran, dass ein Teil der Vorwürfe fallen gelassen wurde, um den Prozess abzukürzen. In der kalten Juristensprache nennt man das „verfahrensökonomische Gründe“.

„Vernichtung durch Arbeit“

Ein Dreivierteljahrhundert ist es her, dass D. das letzte Mal auf einem der Wachtürme im KZ Stutthof nahe Danzig im heutigen Nordpolen stand. 65.000 Menschen fanden in dem sogenannten Judenlager in einem Waldgebiet den Tod, 5232 während der Dienstzeit von Bruno D., die im August 1944 begonnen hatte. Die Opfer wurden in einer Kammer und einem Waggon mit Zyklon B vergast oder in einer Genickschussecke im Krematorium ermordet. Aber die meisten gingen an den lebensfeindlichen Bedingungen zugrunde. Die Entkräfteten und Unterernährten starben zusammengepfercht und unbehandelt an Fleckfieber.

Der Prozess gegen D. wühlt auf, weil Überlebende, teils zugeschaltet aus Israel, das Grauen von Stutthof schilderten: den Hunger, den Durst und Sadismus, wie den Fall eines Sohns, der gezwungen wurde, seinen eigenen Vater totzuprügeln. Der Fall des Bruno D. zwingt dem Beobachter auch wichtige unangenehme Fragen auf – über die Schuld des Einzelnen in einem mörderischen System.

D. hat niemanden selbst getötet. Er war auch kein glühender Nazi und kein Antisemit. Das sagt selbst die Staatsanwaltschaft. Der unpolitische Einzelgänger hat sich weder für die SS noch für den Wachdienst im Konzentrationslager freiwillig gemeldet. Er wurde nach Stutthof abkommandiert, weil er wegen eines Herzfehlers frontuntauglich gewesen sein soll. Damals war er 17 Jahre alt. Deshalb nun die Jugendstrafe.

Bruno D. wusste bald, dass Menschen ins Krematorium geführt wurden und nicht mehr herauskamen. Er stand manchmal auf dem Wachposten in der Nähe. Er hat auch Schreie gehört. Letzte Schreie. Eine KZ-Überlebende sagt im Prozess aus: „Gerade die, die oben auf den Wachtürmen waren, konnten alles sehen.“ Also auch die Leichen, die manchmal auf dem Areal lagen. Und trotzdem hat D. nie seine Versetzung aus dem KZ beantragt.

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