Psychobiotika

Hirnheil aus dem Darm?

Wo kommt so eine Verzweiflung her, wie Munch sie vor Augen geführt hat? Kommt sie ganz tief aus dem Leib?
Wo kommt so eine Verzweiflung her, wie Munch sie vor Augen geführt hat? Kommt sie ganz tief aus dem Leib?(c) REUTERS (Scanpix Norway)
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Weil viele Leiden des Gehirns mit solchen aus dem Gedärm einhergehen, hoffen manche auf Kuren mit Darmbakterien: Psychobiotika.

Bei Holobiome, einem Acht-Personen-Start-up der Molekularbiologie in Cambridge, Massachusetts, dreht sich alles um Kot bzw. seine Verwandlung in Geld. Mit Alchemie oder Tiefenpsychologie hat das erhoffte Mirakel nichts zu tun, sondern mit Leiden des Gehirns, die oft mit Leiden des Gedärms einhergehen: Autismus ist häufig mit Verdauungsproblemen verbunden, Parkinson mit Konstipation, Depression mit Reizdarmsyndrom, und gerade hat sich ein Konnex von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Demenz gefunden (BMJ 23. 6.).

Das legt die Vermutung nahe, dass das Befinden der Psyche nicht nur vom Gehirn abhängt, sondern auch vom Gedärm – das seiner vielen Nervenzellen wegen als „zweites Gehirn“ gilt und mit dem ersten in inniger Kommunikation steht –, beziehungsweise von seinen Bewohnern, den unzähligen Bakterien, die früher „Darmflora“ hießen und heute unter „Mikrobiom“ laufen. Neu ist die Idee, dass etwas von unten in den Kopf steigt, natürlich nicht, die griechische Medizin legte der schwarzen Galle Melancholie zur Last und der gelben den Jähzorn, und der Volksmund weiß auch, dass bei manchen Launen die Galle übergegangen oder eine Laus über die Leber gelaufen ist.

Neu ist aber die Konzentration auf den Darm bzw. die molekulare Erkundung des Mikrobioms, dessen Masse mit zwei Kilo die des Gehirns übertrifft – es hat um die 1,2 –, und dessen ca. zwei Millionen Gene unsere ca. 20.000 in den Schatten stellen. Die Kenntnis dieser Bakterien allerdings ist beschränkt, viele Mitglieder des Mikrobioms lassen sich im Labor nicht halten. Daran arbeitet Holobiome, sein Chef, Phil Strandwitz, hat die Kunst des Kultivierens nach eigenem Bekunden so verfeinert, dass er „über 70 Prozent“ der Darmbakterien wachsen lassen kann, Science zitiert es mit leicht zweifelndem Unterton (368, S. 570). Diese Kunst ist vor allem eine der Nährmedien: Vieles, was die einen Bakterien gedeihen lässt, muss von anderen erst erzeugt werden.

Etwa Gaba. Das ist ein Neurotransmitter im Gehirn, aber eines der von Strandwitz kultivierten Darmbakterien gedieh nur, wenn er die Nährlösung mit Gaba anreicherte, also musste es im Darm (mindestens) einen Produzenten geben. Fündig wurde der Forscher bei der Gattung Bacteroides, er ließ diese Bakterien und ihre Stoffwechselprodukte patentieren und nahm Kontakt auf zu einer Ärztegruppe am Weill Cornell Medical College, die die Gehirne von 23 Patienten mit Depression scannte. Nun analysierte man auch deren Mikrobiom: Die dem Leiden zugerechneten Überaktivitäten im Gehirn – im frontalen Kortex – korrelierten mit der Zahl von Bacteroides im Gedärm (Nature Microbiology 4, S. 396).

Das war der endgültige Startschuss für das Start-Up, nächstes Jahr will es mit Bacteroides in klinische Tests gehen. Anderen geht das viel zu weit bzw. zu rasch, etwa Timothy Dinan und Gerard Clarke (Cork), die selbst auf viele Zusammenhänge gestoßen sind – etwa mit Transplantaten des Kots von Patienten in die Därme von Ratten, die daraufhin die Symptome zeigten – und für mögliche Therapeutika den Terminus „Psychobiotics“ geprägt haben (Gastroenterology Clinics of North America 2019.04.006). Aber, so Clarke: „Es ist eine Sache zu wissen, dass ein Aspekt der Physiologie von unseren Darmbakterien beeinflusst wird, und eine ganz andere Sache ist es, diesen Einfluss unserem Willen zu unterwerfen.“

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