Unter Geschwistern geht es schon einmal wilder zu – und aus einem Spiel entwickelt sich ein echter Streit.
Geschwister

Mein Bruder, geliebter Freund und Feind

Unter Geschwisterkindern mit geringem Altersabstand kommt es besonders häufig zum Streit. Wie Eltern darauf reagieren, ist essenziell für die Beziehung der Kleinen untereinander und das harmonische Zusammenleben der Familie insgesamt.

Schon am frühen Morgen geht es los. Der große Bruder ist wach und weckt beim Spielen seine Schwester, die unausgeschlafen aus dem Bett kriecht. Keine zwei Minuten später: Gebrüll aus dem Kinderzimmer, und Eltern, die ratlos vor ihren schreienden Kindern stehen: Wer hat denn nun schon wieder angefangen? Die Streitereien unter Geschwistern sind Familienalltag in den meisten Mehrkindfamilien. Ein Streit alle zehn Minuten, also sechs Mal pro Stunde, gilt als völlig normal. Oft geht es um Eifersucht, Neid, aber auch die Suche nach Aufmerksamkeit und Nähe. Meist entfacht sich ein Konflikt aber schlicht und ergreifend um ein Spielzeug, das das Geschwisterkind eben gerade nicht hergeben will. „Absolut legitim“, sagt dazu Autorin und Coach Nicola Schmidt, die unter anderem das Buch „Geschwister als Team“ zum Thema geschrieben hat. „Oder würden Sie Ihr neues Auto einfach so abtreten?“

»Negative Gefühle sollen nicht beiseitegeschoben, sondern in Ruhe besprochen werden.«

Wie sich Geschwister vertragen, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Grundsätzlich birgt ein geringer Altersunterschied mit weniger als drei Jahren aber ein größeres Risiko für Konflikte. Geschwister gleichen Geschlechts streiten statistisch gesehen mehr – wobei freilich sehr viel vom Temperament der Kinder abhängt. „Wenn Sie zwei Kinder in relativ kurzen Abständen bekommen und die beiden streiten viel, geben Sie nicht dem Nachwuchs die Schuld. Sie haben die Entscheidung getroffen, die Familie schnell wachsen zu lassen. Die Kinder können sich das nicht aussuchen“, so Schmidt. Für das erste Kind bedeutet ein Geschwisterchen – so groß die Freude am Beginn auch sein mag – eine „Entthronung“. Plötzlich ist es nicht mehr das einzige Kind, das in der Familie umsorgt und verhätschelt wird, und die Aufmerksamkeit der Eltern dreht sich in der ersten Zeit wohl zumeist um das Baby. Das ist nicht immer leicht für die „Großen“. Negative Gefühle wie Eifersucht sollten keinesfalls einfach beiseitegeschoben, sondern in Ruhe besprochen und auch artikuliert werden dürfen, wie Schmidt betont. Ein Gespräch, das mit dem Satz „Hast du das Gefühl, wir haben zu wenig Zeit für dich?“ beginnt, kann in vielen Fällen schon Wunder bewirken und dem größeren Kind das Gefühl geben, gehört zu werden.

Richtig konfliktträchtig wird es meist ohnehin erst dann, wenn das kleine Geschwisterchen zu krabbeln beginnt und dem größeren Kind die Spielsachen streitig macht. Nun sind Ideen zur Aufrechterhaltung eines harmonischen Alltags gefragt. Schmidt betont: Wichtig ist ein Rückzugsort für das große Kind, wo es in Ruhe seiner Beschäftigung nachgehen kann. Denn auch wenn sich Geschwister scheinbar bedingungslos lieben – was im Übrigen nicht immer der Fall sein muss – sind die meisten doch froh, wenn sie auch einmal Zeit für sich haben. Apropos Zeit: Diese sollten Eltern gerecht und nach den jeweiligen Bedürfnissen unter ihren Kindern aufteilen.

Vor dieser Herausforderung stehen Ulli und ihr Mann Reinhard jeden Tag aufs Neue, wenn sie mit ihren drei Kindern Lilly (6), Theo (4) und Georg (16 Monate) spielen. „Jeder muss zu seinen Rechten kommen, für jeden muss Zeit sein“, sagt die dreifache Mutter. Welches ihrer Kinder gerade mehr davon brauche, merke sie an deren Verhaltensmustern: Je nach Entwicklungsphase ist ein Kind einmal fordernder und einmal weniger fordernd. „Damit keiner zu kurz kommt, bekommt jeder exklusive Zeit“, sagt Ulli. Sie räumt aber ein: „Die Paarbeziehung leidet mitunter, vor allem während des Corona-Lockdown, als es außer uns Eltern keine Betreuungsmöglichkeit gab und die drei Kleinen von früh bis spät in den eigenen vier Wänden unterhalten werden mussten.“

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