Wegen einer plötzlichen Sommergrippe konnte Ivo Pogorelich die beiden Auftritte mit den Chopin-Konzerten nicht absolvieren. Die 28-jährige Einspringerin Yu Kosuge ist das pure Gegenteil eines Enfant terrible.
Wegen einer plötzlichen Sommergrippe könne Ivo Pogorelich die beiden Auftritte mit den Chopin-Konzerten nicht absolvieren, lautete die offizielle Begründung der Salzburger Festspiele, die buchstäblich über Nacht Ersatz aufzutreiben hatten. Man muss kein Gerüchtekoch sein, um zu vermuten, dass es neben etwaigen gesundheitlichen auch gewichtige musikalische Gründe für die Absage gab. Immerhin rückt der exzentrische Klavierstar mit seinen immer radikaler werdenden Interpretationen nicht nur allen Konventionen zu Leibe, sondern negiert dabei auch so manche Partiturvorschrift oder verkehrt sie in ihr Gegenteil – ein Vorgehen, das vor zwei Monaten bei einem Festwochen-Konzert im Wiener Konzerthaus mit dem b-Moll-Konzert von Tschaikowsky in einen Eklat gemündet hat.
Wer also Pogorelichs Begegnung gerade mit einem der historischen Aufführungspraxis verpflichteten Dirigenten wie Philippe Herreweghe gerne und aufmerksam gelauscht hätte, wurde enttäuscht.
Die 28-jährige, aus Tokio stammende Einspringerin Yu Kosuge, die nun am ersten Abend Chopins f-Moll-Konzert interpretiert hat, ist das pure Gegenteil eines Enfant terrible, ohne dass ihre Artigkeit langweilig erschiene. Rasch konnte sie sich freispielen, auch wenn sie bei manchen Girlanden noch eine Spur zu starr und vom metrischen Korsett eingeengt schien. In schöner Übereinstimmung mit Herreweghe und der aufmerksam reagierenden Camerata Salzburg geriet das Larghetto, diese schwärmerische, im Mittelteil dramatisch umdüsterte Gesangsszene, durch zarte Sfumato-Schattierungen zum Zentrum der Deutung. Mit ihrem vergleichsweise dunklen, weich strömenden Klang ist Yu Kosuge eine willkommene Seltenheit im allzu oft bloß auf schiere Brillanz getrimmten Klaviernachwuchs – und durfte sich über großen Publikumserfolg freuen, für den sie mit zwei „Liedern ohne Worte“ (opp. 38/6 und 67/4) von Mendelssohn dankte.
Ansonsten gelten die beiden Camerata-Konzerte den Symphonien Schumanns, diesmal etwa der Dritten, die in Herreweghes Lesart zwar pointiert, dabei aber durch den klar gezügelten (Blech-)Glanz schon des Stirnsatzes mehr wie indirekt beleuchtet erklang. Dafür hob der Dirigent die zumal dem Holz anvertrauten Lyrismen hervor – im zügig pulsierenden Scherzo und in den beiden langsamen Sätzen. Wo andere Dirigenten im Finale einen beinah Mahler'schen „Durchbruch“ inszenieren und damit vielleicht illegitime, aber große Wirkung erzielen, geht Herreweghe mit Strenge über dieses Ereignis hinweg – ein gar nüchterner Moment. Dennoch konnte diese frische „Rheinische“ die eingangs enttäuschend lahm, verwaschen und wackelig dargebotene „Frühlingssymphonie“ vergessen machen.
Auf Ö1 am 22.8., 11 Uhr; 2.Konzert am 31. Juli, Restkarten: 0662/8045-50
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2010)