Stefan Zweigs dressierte Frau

Stefan Zweigs dressierte Frau
Stefan Zweigs dressierte Frau(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Jossi Wieler inszeniert die Stefan-Zweig-Novelle "Angst". Zynisch verbrämter Kitsch in einer plakativen, mäßig originellen Inszenierung. Aber äußerst gut gespielt.

Irene Wagner (Elsie de Brauw), eine großbürgerliche Trutschn der ärgsten Sorte, betrügt ihren Mann Fritz (André Jung), einen gefährlich biederen Strafverteidiger, mit dem Klavierspieler Eduard (Stefan Hunstein). Sie wird ertappt, wird von einer angeblich arbeitslosen Frau (Katja Bürkle) erpresst. Die Forderungen steigern sich, die Verzweiflungsanfälle der Gattin ebenfalls. Und die Erziehungsversuche des Ehemannes werden bizarr.

Eine Beziehungskiste aus verlogener Zeit, schwer nachvollziehbarer Kitsch aus der Kinderstube von Psychoanalyse und innerem Monolog. Dieser ärgerliche Anachronismus wird in Jossi Wielers plakativer, mäßig origineller Inszenierung trotzdem äußerst gut gespielt, von Schauspielern, die ihre Rollen leichtfüßig meistern. Sie turnen über das Demonstrative der Regie und die Betulichkeit des Textes souverän hinweg.

An Freud erinnern Öffnungen und Stäbe

Auf der von Anja Rabes gestalteten Bühne des Salzburger Landestheaters sieht das so aus: Das noble Haus der Wagners ist weiß und abstrakt, umgeben von einem Irrgarten mit Neonröhren und schwarzem Metall. Symbolisches Spielzeug der schlimmsten Sorte. Stefan Zweig (1881–1942) hat seine Novelle „Angst“, die der Autor Koen Tachelet (*1964) nun dramatisierte, kurz vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben, in der Hochzeit des Nervenarztes Sigmund Freud. Da glaubte auch Herr Zweig beschreiben zu müssen, wie es im Weibe drinnen aussieht. Und nun sollen Öffnungen und Stäbe in dieser simplen Fortführung der Traumdeutung eben auch tiefere Bedeutung haben.

Draußen also gefährliches Dunkel mit verwirrenden Lichtschwänzen, drinnen im privaten Raum im Vordergrund eine offene Fläche mit hellen Dielenbrettern, die sich leicht bewegen, wenn die gnädige Frau gerade einen Schwindelanfall hat. Hinten eine weiße Wand, in die auf Nabelhöhe schmale, polymorph-perverse Laden eingelassen sind. In die Höhle des Ehebruchs in der Wohnung des Pianisten sieht man nur durch einen weiten Sehschlitz ganz unten, eine Art Scheidewand zwischen ehelichem Ennui und lasterhaften kleinen Ergüssen.

Ordinär? Aber geh!

Und dort, im beinahe Verdeckten, beginnt das Spiel. Nur die bloßen Beine eines Mannes und einer Frau sind zu sehen. Ein zartes Fußspiel beginnt, das heftiger endet. „Hoffentlich wird es nicht ordinär“, sagt halblaut eine Besucherin der Premiere am Mittwoch. Aber geh! Ein bisserl wälzt man sich noch auf dem Boden, deutet französische Manieren an, schnüffelt am Seidenhöschen, kriegt ein Tatscherl aufs Popscherl, und schon ist er aus, der beiläufige Beischlaf. Irene hat ihren Liebhaber in den Lebensplan fix eingebaut, so wie die Besuche der Schwiegereltern und den Spaziergang mit den Kindern. Einmal die Woche reicht für die damals sittlich verwerfliche, aber wahrscheinlich nicht minder beliebte Leidenschaft.

Obszöner aber als diese Liebelei scheint der Dressurakt zu sein, mit dem der Ehemann seine Frau vom heimlichen Trieb kurieren will. Diese Nora aus Wien, aus der Welt von vorgestern, hat ihr Puppenheim noch gar nicht verlassen. Mit strenger Güte behandelt Herr Wagner seine Familie. Er verkörpert die Unmoral der Moral. An den Kindern exerziert er vor, was Schuld, Strafe, Sühne und Verzeihung sind. Irene aber wird der alte Fritz beinahe in den Selbstmord treiben. Jung und de Brauw brillieren in diesem höflichen, aber gnadenlosen Machtkampf. Er beherrscht alle Formen der Unterdrückung, sie alle Ausdrucksmöglichkeiten von Angst, Verzweiflung, Hysterie. Ihr Lachen möchte einen zum Weinen bringen.

Jossi Wieler mischt das Darstellen häufig mit erzählerischen Passagen. Die Übergänge gelingen den Darstellern famos, besonders Katja Bürkle, die in einer Doppelrolle auch als Dienstbotin zu sehen ist, hat eine beeindruckende Gabe der Differenzierung. Was aber will uns der Regisseur mit diesem Kabinettstück sagen? Bei Stefan Zweigs Text, der die Sogwirkung eines Bestsellers hat, dominiert der ernsthafte Versuch des Verstehens, vielleicht kann man sogar ein wenig Ironie in der Gesellschaftskritik erahnen. Tachelet und Wieler allerdings flüchten sich nach modernem Brauch in Zynismus – heute noch immer das am leichtesten verfügbare Mittel, um zu verschleiern, dass man nicht viel zu sagen hat.

Eine Überdosis Regie

Für diese Einstellung ist das Ende typisch. Man winkt mit dem Zaunpfahl. Mittels eines großen moralischen Sermons hat der Gatte der Gattin den Weg zum Familienglück zurückgewiesen: „Wir sind dein ganzes Glück, dein Leben.“ Nichts werde ihr mehr geschehen, behauptet er, die Erpresserin (die er selbst für die Bloßstellungen Irenes engagiert hat) werde nie mehr kommen. Im halbdunklen Hintergrund aber steht drohend Katja Bürkle, als Dienstmädchen verkleidet. Und nun zeigen die Kinder ein grausames Spiel. Das Töchterchen (Lena Anderle), das zuvor so gerne ein Schwert gehabt hätte, führt eine Puppe vor. Ihr Bruder (Johannes Geller) kickt diese leblose Figur. Mehrmals. Schließlich beginnt auch das Mädchen sie zu malträtieren. Wäre es für Irene im Puppenhaus konsequent gewesen, die Überdosis doch zu schlucken?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2010)

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