Der Bilanzskandal bei der Commerzialbank Mattersburg hat die Politik erreicht. Über die Jahre haben zwei Staatsanwaltschaften, die Bankenaufsicht und die Finanz ermittelt. Ohne Ergebnis.
Es war wohl unvermeidlich: Der Bilanzskandal bei der Commerzialbank Mattersburg führt nun zu heftigen politischen Auseinandersetzungen. „Es beginnt eine Diskussion, die sich nicht mehr um die Fakten kümmert“, gab Burgenlands SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil also am Wochenende zu Protokoll. Eine Aussage, die aus zweierlei Gründen verständlich ist. Erstens dient ein medial ausgetragener politischer Schlagabtausch selten der Wahrheitsfindung. Und zweitens schießen sich ÖVP und FPÖ zunehmend auf die SPÖ Burgenland ein. Das ist für Doskozil natürlich alles andere als angenehm.
Den ÖVP-Standpunkt formulierte am Wochenende jedenfalls die stellvertretende Generalsekretärin der Partei, Gaby Schwarz. Es stelle sich „immer mehr die Frage, wer denn die rechtliche Verantwortung der SPÖ-Landesregierung prüft“, sagte sie. Und: „Immerhin ist es das Land Burgenland, das die Aufsicht über die Kreditgenossenschaft hat.“ Diese Kreditgenossenschaft hält rund 80 Prozent an der Commerzialbank Mattersburg. Es könne jedenfalls nicht sein, so Schwarz weiter, dass Doskozil versuche, „sich seiner Verantwortung in diesem Skandal“ zu entziehen. Schließlich sei Doskozil – bevor er Landeshauptmann wurde – Finanzlandesrat gewesen. Mit seiner Kritik an der Justiz versuche er davon bloß abzulenken.
Doskozil, der laut Referatseinteilung der Landesregierung als Landeshauptmann auch für das Bankwesen des Landes verantwortlich ist, hatte am Freitag eine Amtshaftungsklage angekündigt. Unterlagen, die ihm zugespielt worden seien, würden nahelegen, dass „Staatsanwaltschaft und Finanzverwaltung nicht funktioniert haben“, sagte er.
Erste Hinweise 2015
Diese Unterlagen, die auch dem „Profil“ und dem ORF vorliegen, werfen tatsächlich jede Menge Fragen auf. Aus ihnen geht nämlich hervor, dass sich ein anonymer Hinweisgeber bereits am 25. Juni 2015 an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sowie an die Finanzmarktaufsicht (FMA) gewendet hat: Commerzialbank-Chef Martin Pucher und dessen Vorstandskollegin, so meldete der geheime Informant, hätten Kredite in großem Stil vergeben. Und dies, ohne die Organe der Bank darüber informiert zu haben.
Es folgten allerlei Untersuchungen unter Teilnahme etlicher Behörden. Über Jahre.
- Die WKStA hat 2015 laut „Profil“ einen Akt über Pucher und andere Verdächtige angelegt. Es ging um den Verdacht der Untreue. Gleichzeitig wurde die FMA um Unterstützung gebeten, die wiederum die Nationalbank informierte. Sehr viele Stellen waren da also involviert, herausgekommen ist freilich nichts: Der vom „Whistleblower“ geäußerte Verdacht ließ sich angeblich nicht erhärten, die Korruptionsstaatsanwaltschaft stellte also das Verfahren gegen Pucher „mangels Anfangsverdachts“ ein. Das war im Jänner 2016.
Wobei: Laut „Profil“ waren die Prüfer der Nationalbank sehr wohl auf Seltsames gestoßen: Ein Kunde schwacher Bonität hatte von der Mattersburger Bank einen Kredit bekommen – und mit dem Geld Partizipationskapital der Commerzialbank gezeichnet. Die Verzinsung dieses Kapitals war höher als jene für den Kredit. Ein ziemliches Verlustgeschäft für die Bank also. - Die FMA zeigte diesen Fall im Dezember 2015 von Amts wegen bei der Staatsanwaltschaft Eisenstadt an. Wieder ohne Ergebnis.
- 2017 gab es eine neuerliche Prüfung durch die Bankenaufsicht der Nationalbank. Wieder will niemand etwas gefunden haben.
- Auch als sich 2018 das Finanzamt Bruck-Eisenstadt-Oberwart für die seltsamen Ereignisse in der Bank zu interessieren begann, hatte das keine Konsequenzen. Die Finanz hatte bei einem Mitglied des Commerzialbank-Aufsichtsrates hunderte Scheinrechnungen über insgesamt 10,5 Mio. Euro entdeckt. Alle über Konten bei der Commerzialbank abgewickelt.
- Im Februar 2020 kam nach einem weiteren Hinweis doch Bewegung in die Sache. Es waren neuerliche Auskünfte eines Whistleblowers, wonach die Bank teils ungenügend besicherte Kredite vergeben habe, die ausschließlich „vorstandsbetreut“ gewesen seien. Mitarbeiter hätten also keine volle Konteneinsicht bekommen.
Mittlerweile wird dem Verdacht nachgegangen, dass Banken-Chef Martin Pucher über Jahre systematisch Kredite, Guthaben und schlussendlich Bilanzen verfälscht hat. Gut die Hälfte der Bilanzsumme von 800 Mio. Euro existiert nicht.
FPÖ-Chef Norbert Hofer meinte am Wochenende, dass die FPÖ dafür sorgen werde, „dass die parteipolitischen Verwicklungen lückenlos aufgeklärt werden“. Martin Pucher müsse das seinerzeit verliehene Landes-Ehrenzeichen aberkannt werden. Und so setzt jeder seine Prioritäten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2020)