Der Hauptakteur der Bilanzfälschungen der Commerzialbank Mattersburg, Martin Pucher, wendet sich erstmals an die Öffentlichkeit – und bringt einige Überraschungen. Angefangen hat es 1992 unter dem Dach von Raiffeisen.
Geschichten des Jahres. Dieser Artikel ist am 14. August 2020 erschienen.
Wien. Fünf Kamerateams, ein Dutzend Journalisten, drei Besprechungsräume – vergangenen Mittwoch war viel los in der Himmelpfortgasse im ersten Bezirk Wiens. Kaum verwunderlich, ging es doch um das dominierende Wirtschaftsthema der vergangenen Wochen: Commerzialbank Mattersburg.
Martin Puchers Anwalt, Norbert Wess, lud die Medienvertreter nacheinander zu sich in die Kanzlei WKK Law. Neun Stunden lang beantwortete er die Fragen der Journalisten und erzählte, wie sich die fast drei Jahrzehnte andauernden Bilanzfälschungen aus Sicht seines Mandanten abgespielt haben. Pucher, Ex-Commerzialbank-Chef, wendet sich damit erstmals seit dem Auffliegen des Bankenskandals Mitte Juli an die Öffentlichkeit. Mit den Behörden kooperiert er seit seiner Selbstanzeige. Mit Wess hat er einen erfahrenen Experten im Wirtschaftsstrafrecht auf seiner Seite: Er vertritt auch Karl-Heinz Grasser in der Buwog-Affäre.
Vier Prüfungen in vier Jahren
Bei den Befragungen hat Pucher zugegeben, 1992 die ersten Saldenbestätigungen gefälscht, also Guthaben bei anderen Banken erfunden, zu haben. Der Grund: Er wollte die Eigenmittel der Bank aufbessern, um dem Erfolgsdruck von Raiffeisen gerecht zu werden, sagt Wess. „Damals dachte er noch, das sei einer schlechten Phase geschuldet und dass er das noch aufholen würde.“ Der Plan: Aus dem Raiffeisen-Sektor auszutreten und damit „keine hohen Margen“ mehr abtreten zu müssen. 1995 machte Pucher die Bank tatsächlich selbstständig – und wurde nicht ausgeschlossen, wie oft behauptet, so Wess. Zudem sollen ihm noch Posten bei Raiffeisen angeboten worden sein. Doch er schlug sie aus und wurde plötzlich von 1994 bis 1998 vier Mal von der Nationalbank kontrolliert, sagt Wess. „Quasi als Abschiedsgeschenk von Raiffeisen. Aber warum hat man nichts gefunden?“
Eingeweiht in Puchers Malversationen soll nur seine Vorstandskollegin gewesen sein. Um die 20 Jahre alt war sie, als sie zur Bank kam. Einige Jahre später übernahm sie die technische Abwicklung der kriminellen Machenschaften. Pucher soll nicht einmal einen Computer bedient haben können. Er gab die Anweisungen, fälschte die Unterschriften. Die fingierten Unterlagen bewahrte man in einem Schließfach der Bank auf. Doch war tatsächlich so viel kriminelle Energie dahinter, wie derzeit von allen Amtsträgern und Aufsehern angenommen wird? „Auf den langen Zeitraum betrachtet ja, aber technisch war das nicht besonders ausgefuchst“, sagt Wess.
Puchers Hilfe war gefragt
Pucher hätte sich nicht selbst bereichert, sondern immer so viel gefälscht, wie notwendig war, um solide Zahlen auszuweisen. „Er lebt in einem bescheidenen Haus in Hirm, hat keinen Garten, keinen Pool, kein Boot“, sagt Wess. Zwar lag sein Vorstandsgehalt zuletzt bei rund 350.000 Euro, aber das sei vom Aufsichtsrat wegen der guten Performance sukzessive erhöht worden. Lediglich die Zuwendungen an seine große Leidenschaft, den Fußballverein SV Mattersburg, könnten im emotionalen Sinn als persönliche Bereicherung gesehen werden: „Das war die schöne Seite seines Lebens. Dafür bekam er viel Wertschätzung“, sagt Wess.
Seine Unterstützung in der Region war gefragt, selten schlug er Gefallen aus, finanzierte Begräbnisse, Bälle und Feste. Politiker hätte Pucher aber nicht umgarnt. Auch wenn Goldmünzen an Geburtstagen von regionalen Amtsträgern an Filialstandorten dem Vernehmen nach keine Seltenheit waren. „Die Erwartungshaltung an ihn war groß. Vielleicht ein Helfersyndrom, das ihn noch mehr ins Kriminal gedrängt hat“, versucht Wess das Verhalten zu entschuldigen. Bis heute würden Menschen aus der Region Pucher Kraft für das Bevorstehende wünschen.
Ein Kriminalfall größeren Ausmaßes wurde es spätestens 2000. Pucher vermutet, dass die Bank von da an in Wirklichkeit pleite war. „Bis dahin dachte er, dass er das wieder hinkriegt. Das war aber der Point of no Return“, sagt Wess.
Pucher schätzt, dass rund die Hälfte der Schadenssumme in den Betrieb der Bank geflossen ist, bis zu zwölf Prozent in den SV Mattersburg und der Rest in nicht werthaltige, teilweise fiktive Kreditgeschäfte. Statt diese abzuschreiben, stockte er sie Jahr für Jahr auf – und hielt so auch nicht profitable Betriebe in der Region am Leben.
Das Geständnis am 14. Juli
Jedoch dürfte Pucher das tatsächliche Ausmaß unterschätzt haben: Als „Die Presse“ von einem Schaden von rund 690 Mio. Euro berichtete, soll ihn das schockiert und ihm psychisch weiter zugesetzt haben. Trotz seines kritischen Gesundheitszustands sei nicht geplant, die Verhandlungsunfähigkeit anzustreben, sagt Wess.
Interessant ist die Schilderung des Ablaufs am 14. Juli, dem Tag, bevor die Commerzialbank von der Finanzmarktaufsicht (FMA) gesperrt wurde: Zwar stand Pucher wegen auffälliger Kredite inmitten der Prüfungen unter Rechtfertigungsdruck, aber da war noch keine Rede von Bilanzfälschungen. Am Morgen sagte er seiner Frau, dass er eine Selbstanzeige machen werde, bat die Nationalbank-Prüfer um ein Gespräch, in dem er um 12 Uhr das Geständnis ablegte. Anschließend verständigte er die FMA und die Aufsichtsratsspitze.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2020)