Plattenkritik

Taylor Swift: Der Popstar in der Wildnis

(c) Universal/Beth Garrabrant
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Erst Country, dann Pop, nun hat sie sich radikal reduziert: Taylor Swifts überraschendes und sehr ruhiges Album „Folklore“ ist höchst gelungen.

Fast fürchtet man sich vor den Alben, die in den kommenden Monaten erscheinen werden. Lauter ruhige Lieder über Einsamkeit, Isolation, Krankheit, Tod darf man erwarten, aufgenommen in irgendeiner abgelegenen Hütte in der Wildnis, und gibt es Bombast, dann kommt er wohl aus der Retorte und nicht von einer Band oder einem Orchester, das sich anhusten könnte. Ein erstes „Corona-Album“ ist nun mit Taylor Swifts „Folklore“ erschienen, geschrieben und aufgenommen während der Pandemie. Überraschend ohne Vorankündigung veröffentlicht (auch so ein Trend), überraschend gelassen bis heiter in seiner Grundstimmung.

Mühelos hat Swift darauf den Pop hinter sich gelassen, sich wieder ihren Wurzeln im Country angenähert und einen Schwenk Richtung Folk und Indie gemacht. Am ehesten nach Country klingt noch „Betty“ mit seiner Mundharmonika-Melodie, in dem Swift einen Seitensprung aus der Perspektive eines 17-jährigen Burschen schildert: Er ist mit einer anderen mitgegangen. Wird seine Freundin ihm verzeihen, ihn für Versöhnungsküsse in den Garten führen oder ihm sagen: „Go fuck yourself“? Und ist dieses Ich vielleicht doch ein Mädchen? Das bleibt offen. Swift nimmt auf dem Album auch die Sicht eines Soldaten und einer Krankenschwester ein („Epiphany“), einmal die eines Säufers („This Is Me Trying“), einmal eines Kindes, das einen Freund vor dessen wütendem Vater retten will („Seven“, sehr schön).

Im Licht der Discokugel

Seltener singt sie über sich allein, meist gibt es ein Du zu ihrem Ich. Ist es die Wehklage einer Stripperin im sirenenhaften „Mirrorball“ oder doch ihre eigene? „I can change everything about me to fit in“, singt sie. Frauen im Pop müssten sich 20-mal neu erfinden, sagte Swift einmal. Das Bild der Discokugel passt dazu, „I'll show you every version of yourself“.

Für ihre aktuelle Wandlung wird Swift unterstützt von Aaron Dessner, Songwriter der Alternative-Rock-Band The National, Produzent Jack Antonoff (Lana Del Rey, Lorde, Grimes) sowie Bon Iver: Selten hat man den eigenbrötlerischen Indie-Star so schnell singen hören wie auf dem Duett „Exile“. Ungewohnt, aber was für ein Bass! „I think I've seen this film before, and I didn't like the ending“, singen sie gemeinsam. Einer der vielen cineastischen Vergleiche. Swifts „Volkslieder“ erinnern an Filme über das Erwachsenwerden, erste Liebe oder einen Sommerflirt – wie „August“, ein atmosphärischer Song mit bestechend melodiösen Strophen. Swift grub sich in der Isolation nicht in die Dunkelkammern des eigenen Ichs. Sie assoziiert und erinnert sich an (ihre) Teenagerjahre. Das passt auch in anderer Hinsicht, damals war die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wie heute durch die Coronakrise. Auf „Folklore“ trifft man sich „behind the mall“ oder eben in Bettys Garten. Selbst die besungene Kleidung klingt nach Zuhause: In der Single „Cardigan“ fühlt sich Swift wie eine alte Strickjacke – ein Lieblingskleidungsstück der Grunge-Musiker in den heute idealisierten Neunzigern.

Nicht jeder der 16 Songs bleibt im Ohr. Mit über einer Stunde Spielzeit ist „Folklore“ vielleicht ein wenig zu lang, aber dennoch ihr Meisterwerk.

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