Kunstprojekt

Küssen unerwünscht: Ein Sommer der künstlerischen Annäherungs­versuche

Mit dem Projekt KISS und sechs künstlerischen Beiträgen überspannt die Kunsthalle Wien den öffentlichen Raum und den Sommer.

Es gibt nichts Gutes, außer man erzählt darüber: Der deutsche Künstler Thomas Geiger, der in Wien lebt, erklärt, was er tut. Oder: Er beschreibt, was er tut und schon getan hat. Im Podcast des Projekts KISS der Kunsthalle Wien, das den Sommer 2020 und den öffentlichen Raum Wiens gleichermaßen überspannt. Wiederholte Male hat es Geiger schon getan. In ganz anderen Städten. Und zuletzt auch am Wiener Reumannplatz. Verwirrung stiften, irritieren - das gehört auch dazu. Dafür hat Geiger etwa Passanten vorgeschlagen, die Schuhe zu tauschen. In Wien repliziert er den Sommer über in seinem „Festival of Minimal Actions“ die Performances verschiedenster internationaler Künstler. Um unter anderem Intimität und Nähe gerade im öffentlichen Raum mit Interventionen neu zu kalibrieren. Ein Kuss durch eine Glasscheibe, ist das noch ein Kuss? Wie küsst man denn eigentlich digital? Was wenn das Leben in der Stadt ein romantischer Film wäre? Den Blumenstrauß hat Geiger sicherheitshalber schon auf den Reumannplatz mitgebracht. So viele Fragezeichen, die man nacheinander in den Stadtraum stellen könnte, gibt es zuhauf. Sechs Kunstschaffende, die in Wien zuhause sind, wurden vom Kuratorinnen-Team der Kunsthalle Wien eingeladen, genau diese Fragezeichen zu setzen. An ganz unterschiedlichen Orten der Stadt. In ganz verschiedenen Formaten und Kontexten, wie die Kuratorinnen Laura Amann, Anne Faucherer, Aziza Harmel betonen. 

Distanz- und andere Verwirrungen

Wie nah man sich kommt, wie fern man sich bleibt, im öffentlichen Raum, das regelt ein unsichtbares Gewebe aus stummen Vereinbarungen, gesellschaftlichen zumal. Schon Ethnomethodologen wie Harold Garfinkel haben es mit sogenannten „Krisenexperimenten“ sichtbar gemacht. Wenn er etwa seine Studenten aufforderte, die Waren im Supermarkt nicht aus den Regalen zu holen, sondern aus den Wägen der anderen Kunden. Plötzlich sah man, was man darf und nicht darf. Obwohl nie jemand darüber geredet hatte. Die Künstler, die in Wien nun für das Projekt KISS Nähe, Distanz und andere Verrenkungen neu ausbalancieren, wissen auch genau, wo sie drücken müssen, reinstechen, um Irritation zu triggern. Ähnlich wie die Corona-Krise schon diverse Standards, Normen und Konventionen plötzlich ziemlich verdreht hat - allein wie man sich begrüßt, sich begegnet, miteinander redet und - eben welchen Abstand man dabei einnimmt. Doch schon in den Jahrzehnten zuvor hat sich auch eines transformiert: Wie man den öffentlichen Raum nutzt. Küsse waren dort auch vor Corona noch nicht so lange Standard im Verhaltensrepertoire der Menschen. Und jetzt? Ein Sommer voller Küsse. Wenn auch durch Plexiglas. Und anderer Formen des Austausches. Die Kuratorinnen Laura Amann, Anne Faucherer, Aziza Harmel haben sechs Aktionen, Interventionen und Kunstwerke in der Stadt verteilt: darunter Arbeiten von Elke Silvia Krystufek, Rade Petrasevic, Johanna Tinzl und Thomas Geiger.

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