Komödie: Tunesien ist in Therapie

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Eine Psychoanalytikerin aus Paris kehrt in der Komödie „Auf der Couch in Tunis“ in ihre alte Heimat zurück – und hört einer postrevolutionären Gesellschaft zu.

Der tunesische Bäcker ist verwirrt. Bisher hat er immer von arabischen Diktatoren geträumt, was er schlimm genug findet. In den Träumen küsst er sie, und er mag es sogar. Kann man das abstellen? Er sei sogar bei einer Hexe gewesen, sagt er, während er unruhig auf der Couch herumrobbt. Doch das hätte alles nur schlimmer gemacht: Jetzt träumt er nämlich auch von Putin. „Wenn ich je von Bush träume, springe ich aus dem Fenster!“
Das Leben ist nicht schlagartig einfach geworden im postrevolutionären Tunesien, das zeigt die Komödie „Auf der Couch in Tunis“, die im Vorjahr beim Filmfestival von Venedig Premiere hatte und am Freitag in den österreichischen Kinos anläuft, in vielen Szenen. Es ist ein Land im Wandel, in das die Psychoanalytikerin Selma (Golshifteh Farahani), die als Kind nach Paris gezogen ist, im Film zurückkehrt. Warum, das versteht keiner hier. Eine Französin, eigenwillig, mondän, unverheiratet, hier! Und dann will sie auch noch mit den Menschen über deren Kindheit und Gefühle reden, wo sie doch alle ganz andere Probleme hätten! Doch die Therapeutin trifft einen Nerv. Die Leute stehen Schlange auf dem Dach des weißen Wohnhauses, wo Selma ordiniert. Auf der Couch reden sie. Und Selma hört zu.

Dabei vermisst der Film mit viel Liebe für seine vielen geplagten Figuren die Schrullen und Sorgen einer Gesellschaft, die gerade die Chance hat, sich neu zu erfinden – und die Empfindungen einer Frau, die in diesem neuen Land, das ihr zugleich Seelenheimat und Reibebaum ist, ihren Platz sucht. Widersprüche gibt es hier zuhauf: Männer dominieren die Gesellschaft – aber auf Selmas Couch fühlt sich der Bäcker bald wohl genug, um seine unterdrückte Weiblichkeit auszuleben. Die rebellische Teenager-Cousine trägt Kopftuch – aber nicht aus religiösen Gründen, sondern um eine missglückte Frisur zu kaschieren. Fast fliegt sie von der Schule, weil sie vor dem Lehrer im Unterricht ihre Brüste entblößt hat. Zum Glück lässt sich das mit ein bisschen Schmiergeld regeln.

Antwort auf dem Amt: „So Gott will“

Was aber auch nicht mehr immer funktioniert: „Wir sind jetzt ein Rechtsstaat“, sagt der Polizist (Majd Mastoura), der ständig Selmas Nähe sucht und eine Genehmigung für ihre Praxis verlangt. Bei der Alkoholkontrolle nachts auf der Straße muss sie ihm direkt ins Gesicht hauchen – aus Budgetgründen, sagt er, die Alkomaten wurden eingespart. Und dann ist da noch die redselige Dame im Amt, wo Selma eine offizielle Berechtigung zum Therapieren beantragt. Ob sie mit ihren Dokumenten darauf Anspruch hat? „So Gott will“, sagt die Beamtin, Pistazien kauend. Sie hätte aber etwas anderes für sie, grinst sie, und zieht einen Haufen BHs aus der Schreibtischschublade: beste Qualität, guter Preis! Interesse?

Mit diesem unverhaltenen Humor verleiht Manele Labidi dem Geschehen eine konstante Leichtigkeit. Die Regisseurin wurde 1982 in Frankreich als Tochter tunesischer Einwanderer geboren, sie wollte mit ihrem Spielfilmdebüt eine Hommage an die Heimat ihrer Eltern schaffen. Man mag ihr die Charakterisierung der Menschen verzeihen, die bisweilen klischeehaft anmutet: da die chaotischen Tunesier, die lernen, dass sie auch dann für die volle Therapiestunde bezahlen müssen, wenn sie zu spät waren; hier die stolze Pariserin.
Die Iranerin Golshifteh Farahani zieht in dieser Rolle – auf Französisch und Arabisch – völlig in den Bann. Selma navigiert mit gelassener Anmut durch die sonnige Großstadt, immer eine Zigarette zwischen den Fingern, in lockeren Leinenblusen und Sandalen, eine grazile Schönheit, die fast in jeder Szene das Zentrum der warm leuchtenden Bilder ist. Bei ihren Streifzügen wirkt sie wie eine verträumte Drifterin, geht dabei aber ziemlich findig vor: In einem Beauty-Salon lässt sie sich den wilden Lockenkopf glattrichten – eine Frau aus Paris, mit einer Frisur wie ein Dienstmädchen!, schimpft die Friseurin – und gewinnt danach die gesamte Kundschaft des Salons für ihre Patientenkartei. Kaum hat sie den Salon verlassen, holt sie eine Wasserflasche aus dem Auto und schüttet sie sich über die Haare. Was tut man nicht für den Job.

Apropos Haarpracht: Der stolze Bart von Selmas „Chef“ Sigmund Freud, dessen Porträt – inklusive aufgemaltem Fes – in ihrer Praxis hängt, lässt ihren Onkel überzeugt bekunden: Das muss ein Moslem sein!

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