Für besonders Qualifizierte setzt Australien ein „Kopfgeld“ aus.
Jeder vierte Australier ist im Ausland geboren, „Multikulti“ in der einstigen Sträflingskolonie eher Alltag als Mode. Ein heiß diskutiertes Thema bleibt Zuwanderung dennoch, erst recht drei Wochen vor der Wahl. Wie viele Einwohner kann der trockenste Kontinent verkraften? Wer soll kommen und wer bleiben? Vor allem aber sorgt die Frage, wie mit Asylbewerbern verfahren werden soll, für Zündstoff. „Die Boote stoppen“ will die konservative Opposition, wenngleich deren Führer Tony Abbott nicht genau weiß, wie. Nach neuen Übergangslagern für Asylbewerber – derzeit vor allem aus Sri Lanka und Afghanistan – sucht Labor-Premierministerin Julia Gillard.
Dabei machen Flüchtlinge, die Australien meist per Boot erreichen, nur einen Bruchteil aus (kaum 3,5 Prozent der Einwandererquote. Diese Quote legt Australien jedes Jahr fest, um einerseits humanitäre Hilfe zu leisten, vor allem aber, um Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen. Wie im Vorjahr planen die Behörden auch 2010, knapp 180.000 Migranten ins Land zu lassen: 13.000 Flüchtlinge, dazu knapp 50.000 Nachzügler, deren Lebensgefährten oder Angehörige bereits in Australien wohnen. Die große Mehrheit von 113.500 Einwanderern sind qualifizierte Arbeitskräfte, die willkommen sind, wenn sie Qualifikationen haben, an denen es in Australien fehlt: vor allem Ingenieure und Fachkräfte aus der Baubranche, Ärzte und Krankenschwestern. Auf manche Gruppen wird mitunter gar „Kopfgeld“ ausgesetzt: So lobte die westaustralische Ärztekammer im November 2000 Euro für die Vermittlung jedes Allgemeinmediziners aus.
Eine Million Zuwanderer pro Dekade
Jeder Neuling durchläuft ein komplexes Visaverfahren, das Missbrauch vermeiden soll. Mit mehr oder weniger Erfolg. Ein Hintertürchen in die Visums-Welt wurde unlängst zugeschlagen: Die Regierung strich Köche und Friseure von der Liste der „Bedarfsberufe“: Zu viele Studenten hatten die Nische genutzt und sich in Blitzkursen „visatauglich“ qualifiziert. Zudem wurde die Zahl der Familienvisa reduziert, um mehr Fachkräfte ins Land zu holen.
Seit 1950 hat Australien jedes Jahrzehnt etwa eine Million Zuwanderer aufgenommen. Die meisten, die ohne Papiere „Down Under“ landen, reisen übrigens nicht per Fischerboot, sondern per Flugzeug ein: Etwa 50.000 „Illegale“ sind Studenten und Urlauber, die einfach nicht wieder heimfahren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2010)