Aus Mangel an Internationalität

Die Zuwanderungsdebatte ist ein Symptom für die tiefe Abneigung gegen globale Entwicklungen in Österreich.

Be careful what you wish for“, lautet ein englischer Spruch, der so gut zur österreichischen Seele passt. Aus Umfragen wissen wir, was sich die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher von Herzen wünscht: keine Zuwanderung, keine eigene Auswanderung, keine Globalisierung, keine internationale Konkurrenz. Es ist der Wunsch nach einem Leben wie in Albanien vor der Wende, also in einem Land, das sich von allen globalen Einflüssen abgeschottet hat: arm, korrupt, aber autark zu sein.

Die negativen Reaktionen auf die Zuwanderungsinitiative von Außenminister Michael Spindelegger sind Sinnbild einer Diskrepanz zwischen Angstgefühlen und Realität. In dieser Debatte wird der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften mit Ängsten von billigen Zuwanderern in einen Topf geworfen. Eine Organisation hat sich dabei erneut hervorgetan, jede internationale Öffnung unseres Landes zu hintertreiben: die Arbeiterkammer. Sie war skeptisch gegenüber einem EU-Beitritt, kritisch gegenüber der Euro-Einführung, sie lehnt die Globalisierung ab und naturgemäß auch die Zuwanderung von Arbeitskräften. Als „falsches Signal“ kritisierte AK-Chef Tumpel in der „Kronen Zeitung“ den Vorstoß für eine geregelte Zuwanderung. Bei wachsender Arbeitslosigkeit sei der Zuzug von Fachkräften verwerflich.

FPÖ wie AK argumentieren mit einer Milchmädchenrechnung, in der sie die Zahl der Migranten den arbeitslosen Österreichern gegenüberstellen, obwohl es dabei um ganz unterschiedliche Probleme geht. Dem einen Problem, der Arbeitslosigkeit von unterqualifizierten Österreichern und von eingebürgerten „Gastarbeitern“ der zweiten Generation, muss mit Bildungsoffensiven entgegengewirkt werden. Das andere Problem der internationalen Konkurrenzfähigkeit unsers Landes muss durch attraktive Jobangebote für Menschen mit Know-how gelöst werden. Ob sie aus Österreich oder aus dem Ausland kommen, spielt dabei keine Rolle.

Österreich droht aus Mangel an Internationalität an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Das betrifft nicht nur ein paar Konzerne, sondern jeden einzelnen Bürger. Laut einer jüngsten Eurobarometer-Umfrage ist in keinem EU-Land die Bereitschaft so gering wie in Österreich, sich selbst nach attraktiven Jobs jenseits der nationalen Grenzen umzusehen. Diese Menschen schränken selbst ihre Chancen ein. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere sind jene 5000 jungen Bürger aus dem Segment der Hochqualifizierten, die konträr agieren und Österreich pro Jahr verlassen. Laut Migrationsexperten Heinz Fassmann wandern sie für immer in Länder, in denen sie attraktivere Jobs und eine Gesellschaft finden, die gegenüber engagierten Zuwanderern offener ist.

Um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten, fehlt Österreich diese Offenheit. Die Globalisierung und die Zuwanderung werden hier als Gefahr, nicht als Chance gesehen. Und die Politik schürt die Illusion, dass solche Entwicklungen gänzlich steuerbar sind. Das sind sie aber nicht. 214 Millionen Menschen sind laut der International Organization for Migration derzeit weltweit auf Wanderschaft. Das ist ein Vielfaches der Migration von vor dreißig Jahren. Das Volumen des internationalen Handels hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg um das Dreißigfache vergrößert.


Es ist ein Faktum, dass die Globalisierung die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert hat. Es ist auch ein Faktum, dass Wanderströme soziale Spannungen ausgelöst haben. Aber es ist dennoch ein Trugschluss, beide Entwicklungen zu verdammen. Internationalität ist nicht etwas, was wir uns aussuchen können. Sie ist eine Prämisse unserer Existenz geworden.

Weltweite Märkte, ob für Waren oder für Arbeitskräfte, sind von ihrer Natur her ein Mechanismus des Tauschs und des Ausgleichs. Nur die hier im Westen entwickelte Gier hat sie pervertiert. Im Normalfall profitieren beide Seiten eines Markt-Handels. Wer heute – so wie die Arbeiterkammer – vor den sozialen Auswirkungen der legalen Zuwanderung warnt, setzt sich über das Faktum hinweg, dass Migranten schon in der Vergangenheit zum Wohlstand unseres Landes beigetragen haben. Er negiert aber auch die Chance für beide Seiten: Für die Wirtschaftsentwicklung in Österreich und für den Transfer von Wissen und Geld in ärmere Länder. Jahr für Jahr überweisen Migranten einen guten Teil ihres Verdienstes in ihre Heimat. 2009 waren das weltweit 414 Billionen Dollar. Das ist mehr als alle Staaten zusammen an Entwicklungshilfe leisten.

Es ist hintergründig nicht alles schlecht, was vordergründig Angst macht.


wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2010)

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