Die Partitur und ihr Dirigent

Die „vollkommene optische und akustische Vision“ des Regisseurs: Max Reinhardt mit Regiebuch.
Die „vollkommene optische und akustische Vision“ des Regisseurs: Max Reinhardt mit Regiebuch.(c) Österreichisches Theatermuseum/Imagno/Picturedesk
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Eine kulturhistorische Fundgrube ohnegleichen: Die Faksimileausgabe von Max Reinhardts „Jedermann“-Regiebuch überzeugt durch fundierte Erläuterungen – und Überraschungen im Detail.

Am 15. August 1920 ist der „Neuen Freien Presse“ der Rückzug Max Reinhardts aus seinem Berliner Theaterimperium den Aufmacher wert: „Ein Napoleon des Theaters ist geschlagen. Ein Mann, unter dessen Händen alles zum Siege wurde.“ Selben Tags warnt man schon in den „Wiener Caricaturen“ vor dem „dummen Gedanken“, Reinhardt jetzt womöglich „zum Herrn des Burgtheaters“ zu machen, denn: Reinhardt habe „niemals etwas mit der echten dramatischen Literatur zu tun“ gehabt und sei bloß „ein geschickter Arrangeur von Massen- und Lichtwirkungen“. Mitte September schließlich sieht ein „humoristisches Volksblatt“ namens „Kikeriki“ aus Anlass der Salzburger „Jedermann“-Aufführungen eine Art jüdische Kulturweltherrschaft an der Salzach heraufdräuen: Der Salzburger Dom werde wohl in Zukunft Synagoge heißen, der Domplatz in „Neuer Judenschulplatz“, die Marienstatue dortselbst in „Jüdin von Toledo“ umbenannt.

Vor diesem durch und durch disparaten Hintergrundrauschen vollzieht sich, was heute nicht nur zur „DNA der Salzburger Festspiele“ (Helga Rabl-Stadler), sondern längst zum kulturellen Selbstverständnis der ganzen Republik gehört: die erste „Jedermann“-Aufführung auf dem Salzburger Domplatz am 22. August 1920. Es ist ein Hintergrundrauschen, das Max Reinhardt ein Leben lang begleitet, beständig zwischen fast bigotter Verehrung und inbrünstiger Verachtung oszillierend – in der Verachtung nur allzu oft von einem mitunter militanten Antisemitismus getragen. Und als wäre es ein Zeichen trotzigen Widerstands oder der Versuch, böse Geister zu bannen, sieht man gleich auf einer der ersten Seiten des Regiebuchs zum „Jedermann“ ein Signet von Reinhardts Hand eingetragen, das sich noch zweimal auf späteren Seiten findet: einen Davidstern, in den Reinhardts Initialen eingeschrieben sind.

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