Am Herd

Sexistisch oder unbeschwert?

Taylor Swift (Archivbild)
Taylor Swift (Archivbild)APA/AFP/VALERIE MACON
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Der Kollege fand das Foto von Taylor Swift sexistisch. Ich nicht. Sie wirkte frei und unbeschwert. Ich hätte mir vorstellen können, an ihrer Stelle zu sein.

Die Frau war schön. Und sie war aufregend. Sie hatte blondes, gekräuseltes Haar, einen forschen Blick, nur ein Negligé am Leib und sah von der Plakatwand auf mich herunter. Bzw. ich sah zu ihr hinauf und las die Worte: Trau. Dich. Doch. Es war die erste Unterwäsche-Werbung, an die ich mich erinnern kann, und sie gab mir Rätsel auf. An wen wandte sich der Slogan? An einen Mann, der näher kommen sollte, den die Frau vielleicht sogar – unerhört! – zum Sex aufforderte? Oder sprach sie zu mir, der Gymnasiastin, die im vergangenen Jahr zehn Zentimeter gewachsen war und gerade erstaunt festgestellt hatte, dass sie so etwas wie Waden hat? Und ich stellte mir vor, diese Frau zu sein: wagemutig, selbstbewusst und schön. Und sexy. Das natürlich auch.

Wenige Jahre später lud ich ein paar Freunde zu einer Party ein. Einer der Burschen gefiel mir, und ich schrieb ihm eine Extraeinladung, auf der stand: „Breakfast included“. Er hat mir das neulich erzählt, als ich ihn nach Jahren zufällig im Schwimmbad traf, und ich war im Nachhinein ein bisschen stolz auf mich. Ich hatte mich getraut. Nicht wegen des Plakats natürlich, jedenfalls nicht nur.


Zehn Models. Als ich älter war, Mutter zweier Töchter, gab es wieder ein Palmers-Plakat, über das ich nicht hinwegsehen konnte. Es zeigte zehn Models, von hinten fotografiert. Sie trugen nichts als Strümpfe und Tangas und waren nebeneinander aufgereiht wie die Zinnsoldaten. Alle trugen denselben Haarschnitt, einen Bubikopf, alle hatten sie genau gleich lange Beine und genau gleich geformte Apfelpopos, sogar die Kniekehlen waren in der exakt selben Höhe. Zehn Klone, mit Photoshop bearbeitet und unnatürlich gestreckt. Die Vorstellung, meine Mädchen könnten sich wünschen, so zu sein wie eine der Frauen auf diesem Bild, machte mich wütend. So austauschbar. Gesichtslos. Passiv. Eine von vielen.

Mir fielen diese Plakate ein, als ich mit einem Kollegen über ein Foto debattierte, auf dem Taylor Swift über die nackte Schulter einen Blick zurück wirft. Er fand es sexistisch. Ich nicht. Sie wirkte frei und unbeschwert. Ich hätte mir vorstellen können, an ihrer Stelle zu sein, ich gehe im Sommerkleid über eine Wiese, der Wind bläst mir durchs Haar und jemand ruft mich. Die nackte Schulter ist da egal. Überhaupt ist Nacktheit egal. Ein Foto kann verflixt sexy sein und nicht sexistisch, und das Model kann zugeknöpft sein bis zum Hals und ich würde am liebsten den Werberat einschalten.

Das Plakat aus meiner Schulzeit stammte übrigens, wie ich erst jetzt entdeckt habe, von Elfie Semotan. Ich denke man sieht ihm an, dass eine starke Frau es fotografiert hat.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

www.diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2020)

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