Nachfolge

Familiensache: Wer will heute noch Fleischhauer werden?

Das Glück eines erfolgreichen Betriebs mit Nachfolge innerhalb der eigenen Familie haben nicht alle Fleischhauer in Österreich.
Das Glück eines erfolgreichen Betriebs mit Nachfolge innerhalb der eigenen Familie haben nicht alle Fleischhauer in Österreich.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In den vergangenen Jahren ist sowohl die Zahl der Fleischerlehrlinge als auch jene der Betriebe stark zurückgegangen. Trotzdem praktizieren viele Fleischhauer ihr Handwerk nach wie vor erfolgreich und mit Leidenschaft.

„In der Früh mit einem Stück Fleisch anfangen und zu Mittag aufhören und was essen können. Das ist Genuss pur.“ Mit diesem Enthusiasmus beschreibt Fleischhauerin Doris Steiner ihre Faszination für ihr Handwerk. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie einen Familienbetrieb im niederösterreichischen Sollenau. Doris Steiners Nachfolge ist bereits geklärt, denn ihr Sohn Martin wird den Betrieb gemeinsam mit seiner Freundin Vivien übernehmen. Martin Steiner hat sich selbst dazu entschieden, das Handwerk der Eltern zu erlernen: „Wir wollten eigentlich, dass der Junior die Schule in Hollabrunn macht. Er bestand aber darauf, die Doppellehre Fleischer und Einzelhandelskaufmann zu machen, und hat vor drei Jahren sogar die Meisterprüfung absolviert. Mittlerweile sind wir froh, dass er das Handwerk von der Pike auf gelernt hat.“

Das Glück eines erfolgreichen Betriebs mit Nachfolge innerhalb der eigenen Familie haben nicht alle Fleischhauer in Österreich. In vielen Familienbetrieben will die jüngste Generation lieber etwas anderes machen, da junge Menschen heute oft mehr Freiheiten haben als in früheren Generationen. „Früher war klar: Der älteste Sohn muss den Laden übernehmen. Heute ist das zum Glück nicht mehr so streng“, sagt Anka Lorencz, Geschäftsführerin der Bundesinnung für Lebensmittelgewerbe. Junge Erwachsene würden vermehrt Berufe anstreben, die eine digitale Komponente haben. „Körperliche Arbeit ist halt analog“, sagt Lorencz. Auch die Zahl der Fleischerlehrlinge ist stark gesunken. Im Jahr 2011 machten in Österreich noch 502 Jugendliche eine Fleischerlehre, 2019 waren es noch 318. In der Marktgemeinde Sollenau gab es einmal drei Fleischhauer, die von ihrem Geschäft leben konnten. Mittlerweile sind die Steiners die einzigen hier.

Ein veraltetes Image. Der Beruf des Fleischhauers hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert, das gesellschaftliche Bild sei allerdings immer noch sehr veraltet. „Heute geht kein Mensch mehr mit der Sau auf der Schulter spazieren“, meint Lorencz. Laut Familie Steiner müsse man den Beruf transparenter darstellen. „Man muss sehen: Das ist kein blutiger Knochenjob wie früher, mittlerweile arbeitet man viel mit Maschinen“, sagt Sohn Martin Steiner. „Die Kreativität des Fleischers gehört viel mehr hergezeigt“, meint Doris Steiner.

Der Familienbetrieb lebt neben dem Verkauf im Geschäft auch von Tiernahrung und Eventcatering. Letzteres blieb während des Lockdowns aus, was der Fleischerei schwer zu schaffen machte. Allerdings sei der Thekenverkauf in dieser Zeit „extrem angestiegen“, weil viele Leute im Home-Office gewesen sind und deshalb mehr selbst gekocht haben. Dadurch seien die Corona-Einbußen der Steiners nicht so hoch gewesen wie bei Betrieben, für die Gastronomen die Hauptkunden sind. Laut Innung könnte heute kaum ein Fleischhauer allein vom Verkauf im Geschäft leben, Veranstaltungen und Gastronomie seien zu unerlässlichen Einnahmequellen für die Branche geworden.

Die sinkende Zahl der Lehrlinge sei laut Anka Lorencz am stärksten in Wien spürbar. Jene Wiener, die eine Fleischerlehre machen, könne man „an einer Hand abzählen“.

Der Letzte seiner Art. Die Fleischerei Hödl im 23. Wiener Gemeindebezirk ist der letzte Fleischhauer Wiens, der noch selbst schlachtet. Das ist Fleischermeister Leopold Hödl sehr wichtig: „Ich will wissen, wie es meinen Tieren geht, und ich will auch den Bauern dahinter kennen.“ Große Sorgen um seinen Familienbetrieb muss sich Hödl nicht machen, ein Nachfolger steht bereits in den Startlöchern: Sohn Christoph Hödl ist ebenfalls Fleischermeister und arbeitet seit seiner Kindheit mit. Ganz wie sein Vater: „Von klein auf mithelfen, das war bei mir auch schon so. Ich bin froh, dass er eine Freude daran hat“, sagt Leopold Hödl.

Einnahmequellen wie Gastronomie und Catering haben die meisten Fleischer während des Lockdowns stark vermisst. Die Familie Hödl hätte im Extremfall allerdings noch ein weiteres Problem: Sie beschäftigen drei Pendler aus dem benachbarten Ausland. Politisch stand zeitweise eine coronabedingte Grenzschließung im Raum, wodurch dem Betrieb drei Mitarbeiter weggefallen wären.

Nicht so stark durch Corona bedroht fühlt sich ein anderer Wiener Fleischer. Helmut Klaghofer führt gemeinsam mit seinem Bruder Herbert einen Betrieb im 16. Bezirk. Was bei ihnen auffällt: Sie machen kaum Catering und leben hauptsächlich vom Verkauf im Geschäft. Zu Ostern hatte der Betrieb heuer sogar ein stärkeres Geschäft als im Vorjahr. „Die Leute waren zu Hause und haben gekocht“, sagt Helmut Klaghofer. Der Lockdown habe dem Unternehmen generell nicht besonders schwer zu schaffen gemacht: „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen.“ Dafür sei der gute Standort entscheidend, denn das Geschäft liegt in der Straße vor dem stark frequentierten Wilhelminenspital.

Doris und Franz Steiner, Vivien Weinkopf und Martin Steiner: Der Fortbestand des Familienbetriebs in Sollenau ist gesichert.
Doris und Franz Steiner, Vivien Weinkopf und Martin Steiner: Der Fortbestand des Familienbetriebs in Sollenau ist gesichert.Caio Kauffmann


Wenig gutes Personal. Lehrlinge hat der Betrieb gerade keine, denn es sei schwer, qualifizierte Menschen zu finden. „Man braucht ein Gefühl für den Rohstoff, eine Bauchintelligenz. Man muss spüren, wie holt man am meisten aus dem Tier heraus“, sagt Klaghofer. Dieses Talent hätten nicht viele Bewerber. Außerdem sei es für ihn wirtschaftlich vorteilhafter, keinen Lehrling zu beschäftigen. „Die Personalsituation ist sehr angespannt, wir haben einfach zu wenig Leute. Da bleibt wenig Zeit für Ausbildung.“ Die Klaghofer-Brüder haben auch keine Kinder. Ob es einen Nachfolger gibt, „steht noch in den Sternen“.

Das Image des Berufs war schon während seiner Jugend nicht das Beste: „Wenn ich als Junger Mädels kennengelernt und denen erzählt hab, ich bin Fleischhauer, hat es gleich geheißen: Du bist ein Tiermörder“, erinnert sich Klaghofer. Deshalb freut er sich umso mehr, wenn er heute von Kunden hört: „Schön, dass es noch einen Fleischhauer gibt.“ Der Kontakt mit Kunden sei sehr wichtig, ein Fleischhauer müsse „Leidenschaft und Schmäh“ vermitteln können.

Die Großindustrie wird von Klaghofer scharf kritisiert. Früher sei jedem klar gewesen, Tiere nicht leiden zu lassen. Durch die hohen Produktionsmengen großer Konzerne habe sich das verändert. „Bei der Firma Tönnies hat man gesehen: Tierleid verursacht auch Menschenleid“, meint Klaghofer in Bezug auf die schlechten Arbeitsbedingungen des deutschen Schlachtkonzerns, die zu einem großen Coronacluster geführt haben. Fleisch sei zu billig und kein kostbarer Rohstoff mehr. „Früher haben die Leute weniger Fleisch gegessen und trotzdem haben Fleischer mehr verdient.“ Die Branche sei aufgrund der niedrigen Preise und der damit verbundenen Qualitätsminderung selbst daran schuld, dass Leute zu Vegetariern werden.

Mehr Aufmerksamkeit nötig. Fleischermeister Klaus Bergmann führt einen Familienbetrieb in Großweikersdorf in Niederösterreich. Die Entwicklung in der Lebensmittelindustrie ist ihm schon lang ein Dorn im Auge. Als die Supermärkte begonnen haben, in großen Mengen billiges Fleisch anzubieten, hätte er sich mehr Unterstützung von der Innung gewünscht. Diese hätte auf die Qualität des regionalen Fleisches aufmerksam machen sollen, um dem Billigtrend entgegenzusteuern. „Für die Wirtschaftskammer zählt der kleine Unternehmer aber sowieso nicht“, kritisiert Bergmann. „Das Werbebudget der Supermarktketten haben kleine Betriebe wie wir einfach nicht.“

Die Bergmanns schlachten ihr Vieh noch selbst. „Dadurch hat man Kontrolle über das Endprodukt. Das ist wie bei einem guten Wein, da muss man den Rohstoff genau kennen.“ Zudem ist Bergmann der stressfreie Transport der Tiere ein hohes Anliegen. Rinder müssen bis zu seinem Betrieb acht, Schweine fünf Kilometer zurücklegen. Kurze Wege sind dem Unternehmer mit biozertifizierter Fleischhauerei wichtig. Bei langen Tiertransporten, wie sie bei großen Firmen üblich sind, würde der Bio-Aspekt trotz Zertifikat „verloren gehen“. „Bei uns können alle Tiere nach dem Transport zwölf Stunden bei klassischer Musik vor dem Stall ruhen. Das Vieh kann sich so vor der Schlachtung beruhigen.“ Die für ein Biozertifikat erforderlichen Kontrollkosten seien für einen kleinen Betrieb zwar sehr hoch, insgesamt würde sich Bio aber trotzdem auszahlen.

Die Frage „Studium oder Lehre“ stellt sich für den 19-jährigen Sohn nicht, denn der Nachfolger möchte beides machen. Der Rückgang an Fleischerlehrlingen überrascht den Vater nicht. „Früher hatten Familien prinzipiell weniger Geld, da mussten Kinder schnell Geld verdienen.“ Außerdem: „Wer eine Lehre macht, hat fünf Wochen Urlaub im Jahr und muss jeden Tag früh aufstehen, in der Schule hat man drei Monate Ferien. Da ist es wesentlich bequemer, einfach weiter in die Schule zu gehen“, sagt Bergmann.

Bei allen Herausforderungen gebe es auch Grund zum Optimismus, meint Bergmann. Junge Konsumenten haben einen sehr bewussten Umgang mit Nahrungsmitteln. Diese Tendenz sieht auch Anka Lorencz von der Bundesinnung für Lebensmittelgewerbe. „Viele trotzen der Globalisierung und wollen wieder ,Back to the Roots‘.“ Seit zwei Jahren nimmt die Zahl der Kunden in den Fleischereien wieder zu.

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Fleischer

Fleischerbetriebe gab es im Jahr 2011 in Österreich.

Unternehmenwaren es noch im Jahr 2019. Im selben Zeitraum sank die Zahl der Fleischerlehrlinge von 502 auf 318.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2020)

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