Eine Gewitterfront erzwang die Übersiedlung ins Festspielhaus in letzter Minute.
„,Jedermann' hat schon viele Stürme überstanden“, meinte Bettina Hering. Die Schauspielchefin der Salzburger Festspiele musste Samstagabend, als sich viele Besucher bereits auf der Domplatz-Tribüne niedergelassen hatten, den Transfer der Aufführung ins Große Festspielhaus verkünden. Dort fanden die Gäste verschlossene Türen vor. Ungerührt fotografierten viele mit dem Handy die schwarzen Wolken um die Festung. Mit Verspätung startete die Wiederaufnahme der Inszenierung von Michael Sturminger.
Der Abend hatte schon seltsam begonnen, mit großem Gedränge vor dem Einlass, als gäbe es keine Corona-Bedrohung. Überdies schwankte ein Tod vor der Residenz herum. Es handelte sich um eine Demonstration von „Fairkabeln“ gegen die Elektrizitätswirtschaft, die Wälder zerstört, um Kabel ober der Erde zu verlegen statt unterirdisch.
Als sich der Audi mit Tobias Moretti mühsam einen Weg durch die Menge bahnte, sah man den Star verkrampft lächeln und die Hand seiner Buhlschaft Caroline Peters umklammern. Offenbar wussten die zwei schon von der Wettersituation. Klar, oft muss „Jedermann“ drinnen stattfinden. Aber so eine kurzfristige Umdisposition ist doch ein Stress. Kann man unter solchen Bedingungen eine perfekte Vorstellung erwarten? Durchaus. Der Versuch, Peters als Stimmungskanone einzusetzen, die der Buhlschaft eine ironische Note verpasst, verpufft allerdings angesichts des Dramas um Jedermanns Tod. Die Buhle und ihr „lieber Mann“, ein herrischer Entrepreneur, haben eine narzisstische Zweckbeziehung, Herzlichkeit fehlt. Jedermann schätzt an dieser Geliebten offenbar, dass er mit ihr ins Bett gehen und mit ihr reden kann. Peters haucht „Happy Birthday“ ins Mikro, das erinnert an Marilyn Monroes legendäres „Happy Birthday, Mr. President!“ für John F. Kennedy.
Sturmingers „Jedermann“ wirkt im Freien lebendiger als im Haus, anders als die historisierende Vorgänger-Inszenierung von Julian Crouch und Brian Mertes, die überall gleich gut funktionierte. Einige Textveränderungen stören Hofmannsthals kompakte Poesie. Die transzendente Komponente hat Sturminger stark zurückgedrängt, Peter Lohmeyer gibt den Tod, Gott (vom Band) und den Spielansager, er ist es auch, der Jedermann ins Grab begleitet. Die Bekehrung des reichen Mannes ist hier der Panik vor dem Sterben geschuldet und hat nur wenig mit Läuterung zu tun: eine grobe Verkürzung des Originals. Störend ist ferner, dass nicht immer deutlich gesprochen wird, eine Ausnahme sind die Werke (Mavie Hörbiger) und Jedermanns Mutter (Edith Clever). Sieht man die Aufführung öfter, fallen einem Regie-Mätzchen stärker auf wie das Turnen im Spitalsbett oder das teilweise manierierte Getue des Todes auf High Heels. Und in fast jeden Satz fährt Musik hinein . . .
Gregor Bloéb ist ein vitaler Teufel
Erst kurz vor 23.30 Uhr war die Aufführung zu Ende, die elegant und leicht bekleideten Festspielbesucher, vor allem die Besucherinnen, hatten nun Mühe, dem Schnürlregen zu entkommen. Helmut Qualtinger besang einst im Kalypso-Stil den „Jedermann-Kollapso“, der ist immerhin ausgeblieben. Aber ästhetisch wirkt das Spektakel etwas ausgelaugt. Grellen Effekt macht der Teufel: Gregor Bloéb spielt ihn mit wie für ihn üblich maximaler, aber auch etwas hohler und heiserer Vitalität. So wie sich Bloébs Ehefrau Nina Proll auf dem Residenzplatz in Szene setzte, empfiehlt sich das umtriebige Powerpaar als nächste Hauptdarsteller. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja wie so oft beim „Jedermann“ ganz anders.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2020)