Gastkommentar

Viktor Orbán im Panikmodus

Ungarn hat auf dem Höhepunkt der Coronakrise 16.000 überteuerte Beatmungsgeräte bestellt. Wieso ist nicht klar.

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Auf Anfrage teilte das ungarische Ministerium für Außenwirtschaft unlängst mit, dass es während der Notlage zwischen dem 11. März und dem 17. Juni 16.000 Beatmungsgeräte für die Behandlung der Covid-19-Patienten bestellt hatte; für einen Gesamtpreis von über 900 Millionen Euro. Somit kostete ein Gerät 56.647 Euro.

Das ist doppelt so viel, wie es Viktor Orbán für den schlimmsten zu erwartenden Fall für nötig erachtet hat. Den „Rest dieser Beatmungsgeräte“ werde man, so Staatssekretär Tamás Menczer, an Südafrika und vielleicht an Brasilien verkaufen. Der Großteil der Geräte kam zudem ohne eine verständliche und mehrsprachige Bedienungsanleitung an. Entsprechend versiertes Personal stand auch nicht zur Verfügung.

Inzwischen schlitterte die neu gewählte slowenische Regierung von Janez Janša in eine Korruptionsaffäre, die eine handfeste politische Krise ausgelöst hat. Die Staatsanwaltschaft vermutete Preismanipulationen und eine Überteuerung beim Ankauf von Beatmungsgeräten für Covid-19-Patienten. Die slowenische Regierung bezahlte für jedes Gerät 30.000 Euro, also etwa die Hälfte dessen, was die Orbán-Regierung dafür bezahlte.

Die Notlage ist inzwischen vorbei. Selbst auf dem Höhepunkt des Infektionsgeschehens waren in Ungarn keine 100 Covid-19 -Patienten gleichzeitig auf Beatmungsgeräte angewiesen, geschweige denn, dass man vor der Wahl gestanden wäre, eine Auswahl treffen zu müssen, wer beatmet werden soll.

Bei einer so heiklen Fragestellung empfiehlt es sich, mit Zahlen vorsichtig umzugehen, man sollte keine Besserwisserei betreiben. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, wie die riesige Differenz zwischen den erworbenen 16.000 und den tatsächlich verwendeten 100 Beatmungsgeräten zu erklären ist? Statt diese Frage zu beantworten, bezichtigte der Staatssekretär mehrere liberale Online-Portale der Lüge und erklärte, in der Pandemie suchte man weltweit nach diesen Geräten, die Preise seien deshalb hochgeschossen, und niemand konnte die Anzahl der benötigten Beatmungsgeräte vorab festlegen.

Dazu kommt, dass Orbán mehrmals erklärte, Ungarn würde von der EU keine Hilfe bekommen, wohl aber von den Chinesen. Diese „Hilfe“ muss man aber mit Vorsicht betrachten, es handelte sich nämlich um ein Geschäft, nicht um ein Geschenk der chinesischen Freunde des Ministerpräsidenten. Ungarn wurde eine Menge Geräte angedreht, und das nicht zum Freundschaftspreis.

Österreich als gutes Beispiel

Natürlich konnte man im ersten Quartal 2020 nicht wissen, welches Ausmaß die Pandemie haben werde. Dennoch war schon Anfang April klar, dass die Seuche in Ungarn milder ablaufen wird als in Westeuropa. Österreich war das Beispiel. Die Alpenrepublik hatte insgesamt 1000 Beatmungsgeräte bestellt.

Die Bestellung von 16.000 versuchte Staatssekretär Menczer so zu erklären: „Es ist besser, wenn Geräte auf Vorrat vorhanden sind, als wenn es auch nur einen Menschen gibt, den man mangels Geräts nicht retten kann.“ Seien wir gutgläubig: Okay, die Rede ist nicht von Geschäftemacherei, Orbán verfiel schlicht in Panik, bestellte statt 1000 eben 16.000. So etwas kann nur passieren, wenn jemand gewohnt ist, dass seine Entscheidungen von niemandem kontrolliert werden. Orbán umgibt sich mit Leuten, die sich nicht trauen, ihm zu widersprechen, und er hat die Kontrollmechanismen abgebaut. Das zeugt von politischer Beschränktheit, denn Kontrolle kann den Regierungschef auch vor eigenen falschen Entscheidungen schützen.

Wir können froh sein, dass es diesmal nur um Beatmungsmaschinen ging.

Zoltán Kovács (*1952, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Regierungssprecher) ist Schriftsteller, Publizist, seit 1993 Chefredakteur von "Élet és Irodalom". 1996 Pro-Literatura-Preis, 1998 Joseph- Pulitzer-Preis. Er hat bereits in zahlreichen deutschsprachigen Medien veröffentlicht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2020)

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