"Start-Programm": Vom Flüchtling zum Supertalent

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Fünfzig begabte und bedürftige Jugendliche mit Migrationshintergrund werden jährlich vom "Start-Österreich-Programm" unterstützt. So auch der Afghane Mojtaba Tavakoli, der den Unruhen in seiner Heimat entkam.

WIEN. Die Flucht war hart, dauerte ein halbes Jahr und führte mit einem Schlepper von Afghanistan bis nach Griechenland, weiter nach Italien und schließlich nach Österreich. Im Jänner 2007 war Mojtaba Tavakoli, heute 16, genannt Moe, dann in Niederösterreich. In seiner neuen Heimat. „Ich fühle mich richtig zu Hause hier“, sagt der Afghane, der inzwischen auch teilweise in Wien wohnt: Von Montag bis Freitag kommt er dort bei einer Patenfamilie unter, um am Familienleben teilzunehmen und um schneller bei seiner Chemie-HTL in Wien17 zu sein. Sonst wohnt er in einem Familienheim der Caritas in Baden. Aus Ghazni, der Hauptstadt der Provinz Ghazni in Zentralafghanistan, ist Tavakoli 2006 vor den schweren Unruhen und Kriegswirren im Land geflohen.

Dreieinhalb Jahre später, nach der waghalsigen Flucht, bei der sein älterer Bruder ums Leben gekommen ist, hat Moe wieder Mut gefasst: Er will „vorwärtskommen“, etwas leisten – und sich in Österreich integrieren, sagt der Leistungsschüler, der auch privat vom Fußball- bis zum Gitarrespielen viel Einsatz zeigt.

Das hat auch die Verantwortlichen des „Start-Wien-Programms“ überzeugt, hinter dem die Crespo Foundation, das Innenministerium und die Wirtschaftskammer Wien stehen. 14 neue Stipendiaten mit Migrationshintergrund werden ab September gefördert, darunter Moe. „Vom ersten Augenblick an wussten wir, dass er etwas aus sich machen will und auch Vorbild für andere Migranten sein möchte“, sagt der Programmleiter von „Start-Österreich“, Lukas Kluszczynski, der selbst mit neun Jahren aus Polen nach Österreich eingewandert ist. Moe hat sich unter 60 Bewerbern für den neuen „Start-Wien“-Jahrgang durchgesetzt.

Rhetorik-, Bewerbungstraining

Von „Start-Wien“ bekommt er nun 100 Euro „Bildungsgeld“ im Monat: für Bücher, Kurse oder kulturelle Veranstaltungen. Dazu gibt es einen Laptop und Internetzugang, auf den sich der junge Afghane schon besonders freut. Zudem stehen bis zur Matura Workshops und Seminare auf dem Programm– vom Rhetorik- bis zum Bewerbungstraining. „Start“ kümmert sich auch ums Networking: Die Stipendiaten sollen rasch Kontakte zur Wirtschaft, zum Beispiel zu Personalchefs, finden, erklärt Kluszczynski.

Mit Einheimischen, aber auch mit anderen Zuwanderern in Kontakt zu kommen war Mojtaba Tavakoli hier vom ersten Tag an wichtig. Darum habe er so schnell wie möglich Deutsch lernen wollen. „Du wirst es nicht gleich können, aber du musst es versuchen“, habe er sich gedacht, erinnert sich der Jugendliche, dessen Muttersprache Persisch ist und der heute fast perfekt Deutsch spricht. Nur sehr selten sucht er noch nach dem richtigen Wort oder Fall. „Zuerst dachte ich sogar, in Österreich spricht man Englisch.“

Über das Land habe er vor seiner Einreise „fast nichts“ gewusst, erzählt der Jugendliche. Sein Schlepper habe Österreich gewählt, weil es sicher sei. Inzwischen hat der Afghane hier den Status eines subsidiären Schutzbedürftigen, und er hofft, bald Asyl zu bekommen. Neben der Sicherheit schätzt er an Österreich „eigentlich alles“: „Es gibt nichts, was ich nicht mag“, sagt Moe. Heimweh nach Afghanistan hat er nur noch selten, seine Oma und alte Freunde fehlen ihm aber sehr. Erst im Juli sind auch seine Mutter und vier Geschwister nach Österreich gekommen, sie sind Asylwerber.

Reisen mit der Gastfamilie

Außer mit seiner Gastfamilie, mit der er schon „ganz Österreich von Tirol bis zum Burgenland“ bereist hat, und weiteren Einheimischen habe er auch mit zahlreichen Zuwanderern Freundschaft geschlossen, erzählt Moe. Darunter eine Polin, ebenfalls eine „Start“-Teilnehmern, mit der er zuletzt Fußball gespielt hat. Auch als Pfadfinder, als Tutor von Schülern der ersten Klasse seiner HTL – er selbst kommt in die dritte – sowie als Organisator von Kinoabenden und Diskussionen in der Schule ist Moe aktiv. So wie kürzlich, als er eine Vorführung des Films „Little Alien“ organisiert hat. Darin geht es um Flucht und Zuwanderung, im Anschluss an die Vorführung wurde mit Schauspielern und der Regisseurin diskutiert.

Kein „Scheißausländer“

Ob es Momente gibt, in denen er sich selbst noch als „Alien“, als „Außerirdischer“, in Österreich fühlt? „Nein“, sagt Moe. Von Anfang an habe er sich hier gut aufgenommen gefühlt. Nur selten habe er Beschimpfungen wie „Du Scheißausländer“ gehört, und das vor allem, als er noch kaum Deutsch konnte.

Jugendlichen, die zögern, sich anzupassen, möchte Mojtaba Tavakoli gut zureden: Wer hier leben, lernen und arbeiten möchte, müsse auch „etwas dafür tun“, ist Moe überzeugt. Sein großes Ziel ist, nach der Matura Pharmazie oder Medizin zu studieren und in die Forschung zu gehen. Dazu Kluszczynski: „Das wird er sicher schaffen.“ Die „Start-Jury“ sei „zu hundert Prozent überzeugt gewesen, dass wir mit Moe einen aufstrebenden, talentierten, intelligenten jungen Mann auswählen, als wir ihm das Stipendium zuerkannt haben. Den seh ich ganz oben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2010)

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