Interview

„Europa ist eine große Überlebenskünstlerin“

Die Vize-Kommissionspräsidentin der EU, Věra Jourová, und Europaministerin Karoline Edtstadler.
Die Vize-Kommissionspräsidentin der EU, Věra Jourová, und Europaministerin Karoline Edtstadler.APA/BARBARA GINDL
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Die Vize-Kommissionspräsidentin der EU, Věra Jourová, und Europaministerin Karoline Edtstadler über die Milliardenpakete im Kampf gegen Corona und das Budget als Hebel zur Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in der Union.

Die Presse: Beim jüngsten, „historischen“ EU-Gipfel in Brüssel ging es um die Verteilung von unvorstellbaren 1800 Milliarden Euro. Die Vorschläge der Kommission zum Budget und vor allem zu Transferleistungen schienen sich zu Beginn stark von den Erwartungen mancher Mitgliedsstaaten zu unterscheiden. Können Sie mir aus der Sicht einer Vizepräsidentin der EU-Kommission und der einer für Europa und Verfassungsfragen zuständigen Ministerin eines sparsamen EU-Mitgliedsstaates erklären, was den Erfolg des Gipfels ausmacht und was man beim Ergebnis am meisten vermisst?

Věra Jourová: Um den Unterschied zwischen Hoffnungen und Realität zu klären, bräuchten wir viele Stunden. Ganz kurz: Das Ergebnis des Gipfels ist eine ungeheure Leistung. Ich hätte mir nicht gedacht, dass wir es bei diesem Treffen erzielen würden. Alle 27 Staats- und Regierungschefs waren sich der Dringlichkeit einer Lösung auf Basis des Vorschlags der EU-Kommission bewusst. Wir brauchten Klarheit und Sicherheit fürs Budget und ausreichend Mittel, um den Schaden zu beheben, den die Covid-19-Pandemie verursacht. Es war ein bedeutender Moment für die Erholung und Modernisierung unserer Wirtschaft. Die Schlagworte dafür sind Digitalisierung, Green Deal, Belastbarkeit der Ökonomie. Am Ende des Gipfels waren alle zufrieden, nicht alle waren glücklich. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war froh über den Ausgang des Treffens. Es gab Solidarität. Es ging um mehr als nur um Geld. Der Deal bietet großartige Möglichkeiten.

Karoline Edtstadler:
Dass die Positionen am Beginn sich vom Endergebnis unterschieden, ist nicht überraschend. Dass man sich einigen konnte, ist ein großer Erfolg für Europa und auch für Österreich. Bei meinen Kontakten zu den EU-Minister-Kollegen und Kolleginnen hatte ich kurz zuvor noch den Eindruck, dass die unterschiedlichen Zugänge schier unüberwindbar wären. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass in fünf Tagen und vier Nächten dieses Ergebnis erzielt wird. Wir konnten einen großen Stein aus dem Weg räumen. Es geht nun um zweckmäßige Verwendung der Gelder, damit wir für weitere Krisen gerüstet sind.

Washington will angeblich 3000 Mrd. Dollar zur Überwindung der Covid-19-Krise aufbringen. Sind die USA so reich, oder war die nach der Bevölkerungszahl weit größere EU vielleicht zu sparsam?

Edtstadler: Wir sind nicht die Vereinigten Staaten von Europa, sondern eine Staatengemeinschaft, die gemeinsam auch stärker werden will. Außerdem weiß niemand, wie viel Geld tatsächlich notwendig sein wird, um aus Krise zu kommen. Das größte Budget aller Zeiten ist ein wesentliches Signal unserer Bereitschaft, gemeinsam aus der Krise raus zu kommen und solidarisch mit denen zu sein, die am härtesten getroffen wurden. Ich hoffe, dass das Parlament das auch so sieht und dem auch zustimmt.

Jourová:
Wir haben anfangs primär darüber diskutiert, wer im Verhältnis wieviel zahlen wird und wofür das Geld ausgegeben werden soll. Über die Gesamtsumme haben wir erst danach gesprochen. Es sollte kein Schönheitswettbewerb werden, wer großzügiger sei. Wichtig ist, wie wir investieren und wie rasch. Ein Ziel ist die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Wir müssen klug und früh agieren, dann werden wir Erfolg haben. Ich halte unsere Vorschläge für ambitioniert, sie entsprechen der außergewöhnlichen Situation. Es geht um Investitionen in die Zukunft. Der Aufbauplan der EU steht ja nicht allein, sondern tritt zu den bereits von den 27 Mitgliedstaaten beschlossenen Krisenmaßnahmen hinzu, die insgesamt fast 30 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts ausmachen. In den USA sind die Einzelstaaten fiskalisch schwach auf der Brust, so dass die Bundesebene mehr klotzen muss – und das fällt ja sichtlich schwer.

Bis wann wird die Kommission einen ausgereiften Vorschlag für den Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit vorlegen? Was ist sein Kern?

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