Evgeny Kissin kehrt nach einem Sabbatical mit Chopin und Schumann auf die Bühne zurück.
Acht Monate hat er pausiert, um machen zu können, was für einen Künstler seines Ranges Luxus ist: lesen, reisen, Freunde treffen. Und nach Herzenslust üben – ohne auftreten zu müssen. Jetzt hat ihn der Konzertalltag wieder, den 38-jährigen russischen Ausnahmepianisten Evgeny Kissin, auch wenn sich der bei den Salzburger Festspielen ereignet: Seine Soloabende zählen zu den Klavier-Hochfesten jedes Sommers, die heurigen sind den Jubilaren Robert Schumann und Frédéric Chopin gewidmet. Zum Auftakt erklangen am Freitag im Großen Festspielhaus Nocturnes und Mazurken des Polen sowie Fantasie op. 17 und Toccata op. 7 von dessen deutschem Freund; heute, Montag, stehen u.a. Schumanns Fantasiestücke op. 12 und Chopins vier Balladen auf dem Programm.
Das Stichwort Alltag fiel freilich nicht unbedacht: Künstlerische Großereignisse lassen sich nicht erzwingen, und auch Kissin ist Formschwankungen unterworfen, die vielleicht mit der selbst verordneten Ruhezeit in Verbindung standen. Allerdings ist ein weniger starker Abend von ihm immer noch wesentlich beeindruckender und lohnender als so manch bestmögliche Darbietung anderer Kollegen, die landauf, landab als medienwirksame Tastentiger gehandelt werden.
Licht und Schatten subtil verteilt
Gleichsam als poetisches Motto stand da etwa die Nocturne op. 55/1 am Beginn, welche von Strenge zu frei schwebenden Girlanden sich entwickelt. Wie er in der Folge im Klang Licht und Schatten subtil verteilte, in den Mazurken Widerborstigkeit und Irrlichter (op. 6/1) erlebbar machte, volkstümlich gefasste Empfindsamkeit (op. 7/2), Elegance und obstinate Rhythmik (op. 50/2), ließ über kleine Ungenauigkeiten hinweg keinen Zweifel an seiner interpretatorischen Potenz. Und Schumanns vielgestaltige Fantasie op. 17 bei allem Binnenreichtum mit so grandioser Geschlossenheit, nobler Schwermut und feierlicher Sonorität darzustellen ist auch keine Kleinigkeit.
Dennoch: Ganz bei sich war Kissin erst bei der ersten von drei Zugaben, Schumanns „Widmung“ aus dem für Clara geschriebenen Liederkreis „Myrthen“ in Franz Liszts Transkription. Wie da das virtuose Rankenwerk die durch die Oktaven springende Melodie umstrahlte, als wär's eine Gloriole, und wie das ganze doch innigste, intimste Poesie verströmte – da war der „gute Geist“ aufs Schönste beschworen. wawe
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2010)