Seit vielen Monaten steckt der Libanon in einer tiefen Krise. Die tragische Megaexplosion im Hafen der Hauptstadt Beirut könnte dem gespaltenen Land den Rest geben.
Plötzlich brach der Gouverneur von Beirut in Tränen aus. „Das ist zu viel für unser Volk“, schluchzte er und wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen. Noch nie in seinem Leben habe er eine solche Zerstörung gesehen. „Das ist eine nationale Katastrophe, wie sollen wir da jemals wieder herauskommen?“, sagte Marwan Abboud bei seinem Rundgang durch den verwüsteten Hafen. Von dem gigantischen Silo, in dem nahezu die gesamten Getreidevorräte des Libanon lagerten, steht nur noch ein aufgerissenes Wrack.
Zentrale Teile Beiruts sehen nach der sekundenkurzen Megaexplosion aus wie nach einem jahrelangen Bürgerkrieg. Mehr als 100 Tote wurden bisher gezählt, viele Opfer liegen noch unter den Trümmern begraben. Mindestens 4000 Menschen sind verletzt, darunter auch Deutsche, Niederländer und Franzosen. Vier Krankenhäuser wurden zerstört, zwei weitere beschädigt, Hunderte Patienten wurden in Sicherheit gebracht. Die übrigen Kliniken sind überfordert mit dem Andrang Schwerverletzter, von denen manche zunächst unter freiem Himmel auf Parkplätzen oder Bürgersteigen versorgt werden mussten.
Geborstene Fensterscheiben
„Wir haben drei Krankenschwestern verloren, mir fehlen die Worte, das zu beschreiben. Es ist wie in einem Horrorfilm“, sagte die Präsidentin des Verbandes der Pflegekräfte, Mirna Doumit. Das Rote Kreuz bat dringend um Blutspenden. Kaum eine Fensterscheibe im Umkreis von zehn Kilometern blieb heil. Selbst im Inneren der Residenz des Premierministers wurden schwere Holztüren aus den Angeln gerissen.