März 1938

Der Umbruch ging ganz glatt vonstatten

Alos Kernbauer: Der Nationalsozialismus im Mikrokosmos, Akademische Druck und Verlagsanstalt Graz, 918 S., 39,80 €
Alos Kernbauer: Der Nationalsozialismus im Mikrokosmos, Akademische Druck und Verlagsanstalt Graz, 918 S., 39,80 €(c) Akademische Druck und Verlagsanstalt Graz
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Wenig Widerstand an der Grazer Universität im März 1938.

„Die Hand jedem Willigen – Bekenntnis zum Führer“: Die Grazer „Tagespost“ meldete das erstaunliche Ereignis am 31. März 1938 in gebührend großer Aufmachung: Erwin Schrödinger, ordentlicher Professor für theoretische Physik, Nobelpreisträger 1933, appellierte an die „Volksgenossen“, bei der bevorstehenden Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs an Hitlers Deutschland mit Ja zu stimmen. Warum das so kam, warum der bekannte Nazi-Gegner nicht sofort von der Grazer Universität entfernt wurde, erklärt Alois Kernbauer in einer umfangreichen Studie.

Die neue NS-Universitätsleitung hatte nämlich größtes Interesse, dass ihr wenigstens einer ihrer Nobelpreisträger erhalten blieb. Denn Otto Loewi und Viktor Franz Hess war die Lehrbefugnis bereits entzogen. Beide, Loewi aus rassischen Gründen, Hess aus ideologischen Gründen (katholischer NS-Gegner), mussten ihr Nobelpreisgeld zuvor abliefern, bevor man sie ausreisen ließ. Schrödinger hingegen durfte noch bleiben. Aber nicht allzu lang. Wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ wurde der Vielgeehrte Ende August 1938 in den Ruhestand versetzt, er ging nach Dublin, wo er ab 1943 seine berühmt gewordenen „lectures“ am Trinity College hielt. Erst ab 1956 näherte er sich Österreich wieder, kam oft nach Alpbach, wo er auch beigesetzt wurde.

Radikale Studenten

Nicht nur die Lebensläufe der in Graz lehrenden Kapazitäten schildert Alois Kernbauer ausführlich und detailgetreu, er erklärt auch die eigenartige politische Stimmungslage, die vor den Tagen des „Anschlusses“ in der „Stadt der Volkserhebung“ herrschte. Noch am 8. März hatte das Wiener Unterrichtsministerium in einem letzten vergeblichen Versuch der Studentenschaft verboten, Abzeichen und Farben der Nationalsozialisten zu tragen, auch der „Deutsche Gruß“ sei untersagt. Kernbauer: „Der Erlass langte am 10. März in Graz ein und hatte keinerlei Auswirkungen auf das Geschehen.“

Denn längst hatte der damalige Zeitgeist von den Studenten Besitz ergriffen. Der Autor: „Während Universitätsangestellte mit ihrem ideologischen Bekenntnis zurückhaltend waren, bekannten sich die Studenten offen zum Nationalsozialismus, störten Vorlesungen und setzten Aktionen gegen Universitätslehrer, die sich zum Dollfuß-Schuschnigg-Regime bekannten.“

Der Umbruch vollzog sich innerhalb von wenigen Tagen, die Studenten traten demonstrativ in SA-Uniform zu Prüfungen an, was der Rektor per „Ersuchen“ abstellen wollte. Das nützte freilich gar nichts. Die Studentenführung übernahm immer direkter die Planungshoheit über den Lehrbetrieb. Denn SA-Pflichttermine überschnitten sich immer öfter mit Vorlesungen oder Übungen.

Schon am 17. März trat eine neue Universitätsleitung zur Sitzung zusammen. Ein Antrag lautete, die Doktorate der beiden Funktionäre der Vaterländischen Front, Karl Maria Stepan und Alfons Gorbach, abzuerkennen (Stepan war Landeshauptmann, Gorbach wurde nach dem Krieg Landtagspräsident und Bundeskanzler. Beide wurden von den Nazis in Konzentrationslager verschleppt). Und am 3. Juni machte die Reichsorganisationsleitung der NSDAP die Universitäten aufmerksam, dass man zwei Bildtafeln „preiswert“ erwerben könne, die Symbole, Uniformen und Abzeichen der Partei darstellten. Man lernte rasch . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2020)

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