Morgenglosse

Zoom wäre nichts für Kafka

Für die Kunst ist unsere technische Routine öde. Das frühe Telefon war besser.

Pragmatisch gedacht – also unkünstlerisch – ist die Routine, die wir mittlerweile in der Zoom-Kommunikation entwickelt haben, sehr erfreulich. Die „schrägen“ Momente (die oft in schrägen Bildern bestanden) sind selten geworden. Aber es geht auch etwas verloren durch die Reibungslosigkeit. Und so rasch hat sie sich bei diesem Tool eingestellt, dass der Zoom-Boom wohl kaum die Künstler inspirieren wird. Die finden nämlich Störungen viel interessanter.

So gesehen hatte das langsamere Tempo des Fortschritts künstlerische Vorteile. Nie war das Telefon so spannend für Geschichtenerzähler wie in seiner sich über Jahrzehnte erstreckenden Kinderschuh-Zeit. Was wären die Romane des geradezu telefonophoben Kafka ohne die beängstigende Macht des Telefons, die gerade auch in dessen Unzulänglichkeit bestand? Da rauscht und singt es in der Leitung, anonyme Stimmen geben Befehle, man wartet endlos und weiß dann nicht, wer am anderen Ende des Apparats ist – meist ist es der Falsche. Mobilfunkanbieter mit ihren Kunden oder ein Konzern wie Amazon mit seinen Händlern „kommunizieren“ heute so – nur mit Absicht.

Krampfhaft bemühen sich Drehbuchautoren, mittels Funklöchern und leeren Akkus das Handy im Film so spannend zu machen, wie es das Festnetztelefon war. Aber wird es je Szenen geben, in denen ein Handy im Raum, ein in die Stille platzendes Klingeln zum legendären Filmmoment wird? Die größte Macht des Festnetztelefons (zumal als Anrufer-Nummern noch nicht am Display zu sehen waren) bestand in der Unsicherheit: Wer ruft an? Wer hebt ab? Gerät Wissen an die Falschen?

Ja, wir haben es gern, wenn alles klappt, oft ist es auch lebensnotwendig. Für die Kunst freilich wird es interessant, wenn etwas nicht klappt. Und seien wir ehrlich: nicht nur in der Kunst.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2020)

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