Kolumne zum Tag

Da denkst du, du kennst deine Freunde . . .

Die Presse/Clemens Fabry
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Dass Menschen ganz unterschiedlich mit ähnlichen Krisen umgehen, ist nichts Außergewöhnliches. Interessant ist nur die Unvorhersehbarkeit der Reaktionen bei Leuten, die man seit vielen Jahren sehr gut kennt.

Zu beneiden sind sie, die Menschen, die sogar aus einer Not wie der Coronakrise eine Tugend machen können. Die sozialen Medien sind voll mit Geschichten über die Vorteile einer längst überfälligen Entschleunigung im Alltag, über mehr kostbare Zeit für Familie, Freunde und sich selbst, das Wiederbeleben von vernachlässigten Hobbys und Leidenschaften, das Entdecken Österreichs als Urlaubsland. Beneidenswert deshalb, weil die meisten von ihnen keine Realitätsverweigerer zu sein scheinen, sich selbst belügen und ihre Tristesse schönreden, sondern ganz offensichtlich meinen, was sie sagen. Natürlich spüren sie die Auswirkungen der Krise, lassen aber nicht zu, dass sie ihr Leben bestimmt. Im Gegensatz zu jenen, die fast ausschließlich die Einschränkungen sehen – die Fernreisen, die sie nicht machen können; die Bars und Discos, die geschlossen haben; die Kultur- und Sportveranstaltungen, die nicht stattfinden, die Filme, die nicht anlaufen.

Nun ist es keine große Überraschung, dass Menschen unterschiedlich leiden. Mit Trennungen, Todesfällen und persönlichen Niederlagen geht ja auch jeder anders um. Interessant ist nur die Unvorhersehbarkeit der Reaktionen. Vor allem bei engen Freunden, von denen man nicht geglaubt hätte, dass sie einen nach all den Jahren solcherart erstaunen können. Vermeintlich Starke und innerlich Gefestigte sind in eine veritable Depression gefallen und haben ihre Perspektive verloren, während als labil und zuwendungsbedürftig Geltende über sich hinauswuchsen und zu einem Anker für ihre Freunde wurden. Alles Männer und Frauen, deren wirtschaftliche Situation durchaus ähnlich ist und keine eindeutige Erklärung für ihre Verfassung liefert.

Eine Entwicklung, die tragisch, komisch und voller Konflikte ist – perfekter Stoff für einen Film. Wäre doch bloß einer im Freundeskreis Drehbuchautor.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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