Junge Forschung

Harte Bandagen in der Antike

Christoph Schwameis konnte nachweisen, dass Cicero in seinen Anklagereden gegen Verres schamlos übertrieb. Caio Kauffmann
Christoph Schwameis konnte nachweisen, dass Cicero in seinen Anklagereden gegen Verres schamlos übertrieb. Caio Kauffmann Caio Kauffmann
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Kampfrhetorik ist nichts Neues, weiß Altphilologe Christoph Schwameis. Schon der altrömische Politiker Cicero ersparte seinen Gegnern keinen Untergriff.

Die Verzerrung der Wirklichkeit rangiert im Werkzeugkasten gewiefter Manipulanten ganz oben. Schließlich lässt sich der Wahrheitsgehalt einer Sache besser für eigene Zwecke einspannen, wenn man ihn lange genug dreht und wendet, mit Unterstellungen und Gehässigkeiten anreichert. Marcus Tullius Cicero machte es im antiken Rom vor, als er Gaius Verres, den Statthalter Siziliens, mit seiner scharfen Zunge ins Exil zwang. „Diesem wurden Amtsmissbrauch, Bestechlichkeit und Erpressung vorgeworfen, und zwar nicht unbegründet“, erklärt Christoph Schwameis. „Doch Cicero hat Verres' Vergehen derart übertrieben und ihn als Person so herabgewürdigt, dass dessen politische Existenz ruiniert war.“ Selbst legte der sprachgewandte Anwalt, Schriftsteller, Philosoph und Politiker damit den Grundstein zu seiner Karriere: Er stieg zum ersten Redner Roms auf.

Einsicht in menschliche Verhaltensweisen

Schwameis arbeitet am Institut für Klassische Philologie der Uni Wien. Der zweiten Anklagerede Ciceros im Gerichtsverfahren gegen Verres im Jahr 70 v. Chr. hat er seine Dissertation gewidmet. Im März verlieh ihm die Universität dafür einen Doc Award. „Mir ging es vor allem darum, Ciceros rhetorische Strategien zu verstehen“, sagt der 30-Jährige. „Da gibt es übrigens frappante Ähnlichkeiten mit den Kommunikationsmethoden so mancher heutiger Politiker.“ Generell könne die moderne westliche Welt viel aus der Betrachtung der antiken römischen Gesellschaft und Politik lernen. „Natürlich nicht im Sinne undifferenzierter Gleichsetzung, aber man gewinnt eine hervorragende Einsicht in menschliche Verhaltensweisen, die alle Zeiten überdauern.“

Cicero etwa, der Schwameis durch Beschreibungen von Autoren wie Robert Harris oder Wilfried Stroh schon als Gymnasiast faszinierte, war von Ehrgeiz getrieben. „Er war sich der politischen Fehler seiner Zeit durchaus bewusst und hat auch versucht, integer zu handeln, beispielsweise indem er einen Ausgleich zwischen der Oberschicht und dem einfachen Volk schaffen wollte. Andererseits sah er sich gezwungen, sich mit den Mächtigen zu arrangieren, seine Zuhörer zu täuschen und sich über die eigenen philosophischen Prinzipien hinwegzusetzen.“ Diesen Zwiespalt zwischen Idealismus und politisch-rhetorischem Alltag nachzuverfolgen sei ungemein spannend.

Urgestein der Meinungsmache

Schwameis hat Ciceros Rede gegen Verres aus althistorischer, rechtshistorischer und literaturwissenschaftlicher Sicht untersucht und die Elemente seiner „Schmutzkübeltaktik“ detailliert herausgearbeitet. „Dadurch, dass er etwa Verres' Familienverhältnisse als komplett zerrüttet, seinen Vater als hinterhältiges Schlitzohr und seinen Sohn als verdorbenen Lustknaben hinstellte, nahm er dessen Verteidigern die damals gängige Möglichkeit, die Verwandten vor Gericht mitleidheischend als Leidtragende einer Verurteilung einzusetzen.“ Zudem förderte Cicero Äußerungen anderer Kritiker aus früheren Streitigkeiten des Verres zutage. „Während er so Verres' Glaubwürdigkeit noch mehr untergrub, konnte er sich selbst perfekt als Verteidiger Siziliens, des römischen Staates und des Senatorenstandes inszenieren und zugleich den Vorwurf der üblen Nachrede abwehren.“

Auf breiterer Ebene durchleuchtete Schwameis Ciceros Schmähungen bis vor Kurzem zusätzlich an einem Sonderforschungsbereich der TU Dresden. Nun wendet er sich im Zuge seiner Habilitation an der Uni Wien einem anderen Thema zu: „Ich werde das Epos ,Punica‘ von Silius Italicus über den Zweiten Punischen Krieg und Hannibals Angriff auf Rom analysieren.“

Die Leidenschaft für die Antike wurde dem Niederösterreicher praktisch in die Wiege gelegt: Er wuchs nahe der ehemaligen Römerstadt Carnuntum auf. Später inspirierten ihn seine Lateinlehrer, darum wurde er zunächst selbst einer. Nach dem Lehramtsstudium in Latein und Deutsch unterrichtete er bis vor zwei Jahren am Gymnasium Bruck an der Leitha. „Latein ist keine tote Sprache und sicher kein Orchideenfach“, betont er. „Es bietet uns auch heute noch ein entscheidendes kulturelles und sprachliches Rüstzeug.“

Zur Person

Christoph Schwameis (30) ist Universitätsassistent an der Universität Wien. Er studierte Latein und Deutsch auf Lehramt und unterrichtete bis 2018 am Gymnasium in Bruck an der Leitha. Parallel begann er 2015 ein Doktoratsstudium in Latein. Von August 2019 bis Juli 2020 untersuchte er an der TU Dresden antike Schmähreden. Derzeit arbeitet er an seiner Habilitationsschrift.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2020)

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