Bizarre Kampfhandlungen: sowjetische Kavallerie, ausgestattet mit Lanzen, Säbeln und Beiwagen mit Maschinengewehren.
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Vor 100 Jahren: das Wunder an der Weichsel

Im August 1920 gelingt es einer polnischen Einheit bei Warschau, die Rote Armee zum Rückzug zu bewegen. Meine Großmutter ist zwölf, als sie aus ihrem weißrussischen Dorf fliehen muss. Nachrichten aus dem Polnisch-Sowjetischen Krieg.

Im Jahre 1920 war meine Großmutter zwölf Jahre alt. Eines Tages hatte die polnische Besatzungsmacht Ljudenewitschi, ihr weißrussisches Heimatdorf, geräumt, die Rote Armee war aber noch nicht nachgerückt. Das Interregnum nutzten die „Truppen“ der sogenannten Russischen Freiwilligen Volksarmee unter der Führung von Stanislaw Bulak-Balachowitsch für Plünderungen und für ein Judenmassaker. Balachowitsch, im Ersten Weltkrieg Offizier der Russischen Armee, kämpfte im Bürgerkrieg zuerst für und dann gegen die Bolschewiken, im Polnisch-Sowjetischen Krieg für Polen, zwischendurch und danach aber vor allem für sich selbst.

Die Familie meiner Urgroßeltern und einige andere Juden flohen vor der „Balachowitsch-Bande“ (so nannte sie meine Großmutter) in das Haus des Grundbesitzers Ljubimow, dem das Dorf gehörte. Als die Mörder sein Haus stürmten, stellte sich Ljubimow vor „seine“ Juden, zerriss sein Hemd und schrie: „Das sind alles meine Kinder! Bevor ihr sie tötet, müsst ihr mich erschießen. Hier ist meine nackte Brust, schießt!“ Meine Großmutter begann zu weinen. Die Mörder zögerten. Schließlich sagte Balachowitsch zu Ljubimow mit Blick auf meine Großmutter: „Beruhigen Sie Ihre Tochter!“ und zog mit seinen Männern ab. Die Juden im Haus waren gerettet. Jene, die im Dorf geblieben waren, hatten weniger Glück.

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