Am Herd

Wien wird eine südliche Stadt

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Mit Jugendlichen, die am Wasser herumlungern, Alten, die von den Balkonen aus dem Treiben auf den Gassen zusehen. Und Lavendel. Überall Lavendel.

In unserem Haus lebte eine alte Dame, die Rosen liebte. Sie wucherten auf ihrem Fensterbrett, rot und dicht wie im Märchen, und manchmal segelten ein paar Blütenblätter in den Hof. Ich hob sie auf und blickte nach oben, und manchmal stand sie dann da, mit der Gießkanne in der Hand, und ihr langes, silbriges Haar leuchtete mit den Rosen um die Wette.

Die alte Dame – sie hieß Annemarie – war eine Ausnahmeerscheinung. Sowieso. Und auch wegen ihrer Rosen.

Mittlerweile haben ihre Pflanzen Gesellschaft bekommen. Wohin ich auch gehe, dieses Jahr grünt und blüht und rankt es überall. Beim Nachbarn füllt der Oleander das ganze Fenster aus, Kästen voller Lavendel zieren den Gastgarten ums Eck, die Terrasse des Eissalons ist fast zugewachsen mit Hibiskus – und jede Boutique, die auf sich hält, hat sich ein, zwei Blumentöpfe angeschafft.


Italiener, Griechen und Türken. Wien wird südlich. Weil die Temperaturen steigen, natürlich, und es sich auf den Balkonen, den Parks und in den Straßen jetzt leben lässt, die Luft schwirrt von den Stimmen der Menschen, die nicht mehr von Ort zu Ort hasten, sondern verweilen, sich an den Rand des Brunnens setzen, auf Bänken ein Schwätzchen halten, und mein Freund, der Maler, stellt den Sessel vor die Tür seiner Galerie und raucht eine Zigarre. Wir Wiener haben uns verändert – und die Stadt mit uns.

Haben wir es uns abgeschaut? Von den Italienern, die ein paar Terrakotta-Töpfe ins Freie stellen und damit ein Paradies schaffen? Von den alten griechischen Frauen, die vor ihren Häusern sitzen und mit den Nachbarn tratschen, die vorbeikommen? Von den Türken dieser Stadt, die lang vor uns unter den ausladenden Bäumen der Jesuitenwiese lagerten und den Sommer genossen – wir machten es ihnen bald nach und feierten ab da unsere Geburtstage der Kinder im Prater.


Gallipoli am Donaukanal.
Die treffen ihre Freunde mittlerweile im Zwidemu, also zwischen dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum, oder am Donaukanal, und schlagen so – im Freien ist die Ansteckungsgefahr gering – dem Virus ein Schnippchen. Und ich? Mich findet man an der Alten Donau auf einem der hölzernen Stege mit Blick auf die UNO-City, wo am Tag die Väter mit ihren Kindern schwimmen üben und am Abend die Jugendlichen einander übertreffen mit lautstarken Anfeuerungsrufen und tollkühnen Sprüngen. Und wo die Sonne fast so rosarotorange untergeht wie in Gallipoli.

Annemarie würde es hier gefallen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

www.diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2020)

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