Anlageklassen

Eine Rallye, die alles erfasst

Archivbild: Die New Yorker Börse
Archivbild: Die New Yorker BörseAPA/AFP/JOHANNES EISELE
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Wenn so gut wie alle Anlageklassen ansteigen, dann wird es gefährlich, so heißt es. Investoren sollten auf der Hut sein, viel deutet auf eine Überhitzung hin. Oder kommt diesmal alles anders?

New York. Anleger, die in den vergangenen vier Monaten ihr Kapital vermehren konnten, brauchen sich darauf nun wirklich nichts einbilden. Die Börsen boomten im Zeitraum April bis Juli, der S & P 500 Index erhöhte sich um 27 Prozent. Auch für Rohstoffe ging es steil bergauf: Der S & P GSCI Index, der die wichtigsten Rohstoffe umfasst, legte um ein Drittel zu. Das war unter anderem einer Verdopplung des Ölpreises und dem Run auf Gold geschuldet. Das Edelmetall überschritt in der Vorwoche erstmals die Marke von 2000 Dollar.

Dazu kommt ein leichtes Plus auf dem Markt für Staatsanleihen, und fertig ist eine kombinierte Rallye von Aktien, Rohstoffen und Staatspapieren, die es in diesem Ausmaß zuletzt in den 1970er-Jahren gegeben hat. Nicht nur das: Im Juli kauften Investoren auch Junk Bonds in großem Stil. Der Markt für Anleihen von Firmen, deren Kreditwürdigkeit nicht die beste ist, verbuchte das größte Monatsplus seit 2011. Bleibt Bitcoin. Ein Gewinn von mehr als 20 Prozent im Juli. Gratuliere.

Angst, etwas zu verpassen

Was da gerade passiert, ist in der Tat äußerst ungewöhnlich. Aktien und Staatsanleihen sollten sich tendenziell eigentlich eher in die gegenteilige Richtung entwickeln. Aktien legen laut Lehrbuch zu, wenn die Konjunktur anzieht, was wiederum oft mit steigenden Zinserwartungen verbunden ist. Rechnen Investoren mit höheren Zinsen, stoßen sie bereits emittierte Staatspapiere ab, weil deren fixer Kupon bald weniger wert sein wird. Dann, so die Theorie, fallen die Kurse, und die Rendite steigt.

Auch Gold und Aktien, so heißt es, sollten eigentlich eine negative Korrelation haben. Investoren fliehen in den sicheren Hafen Gold, wenn an den Börsen große Panik herrscht, und der Preis für das Edelmetall fällt, wenn die Konjunktur und die Aktienmärkte anziehen. Und dass Gold und Junk Bonds unisono steigen, entbehrt überhaupt jeglicher Börsenlogik. Riskante Anleihen gehen mit Euphorie an den Märkten einher, während Gold so ziemlich für das exakte Gegenteil steht.

Also was ist da los? Ein Erklärungsansatz ist die Angst vieler Neulinge, etwas zu verpassen. „Fear of missing out“ sagt der Amerikaner dazu. Dazu kommt es, wenn Amateure von der Seitenlinie ein Kursfeuerwerk beobachten und dann schnellstmöglich – und oft zu spät – aufspringen wollen. Bereits hohe Bewertungen schnellen dann noch weiter in die Höhe, ehe es zum Crash kommt. Starinvestor Warren Buffett warnt gern davor, von ihm stammt einer der klügsten Börsensprüche: Sei gierig, wenn andere vorsichtig sind. Sei vorsichtig, wenn andere gierig sind. Aktuell sind viele gierig.

Doch weisen Beobachter auch darauf hin, dass die Bewertungen zwar hoch sind, sich die Euphorie aber in Grenzen hält. So lassen sich die Anstiege der Kurse von Gold und US-Staatsanleihen erklären. Zumindest ein Teil der Investoren übt sich in Zurückhaltung und versucht, sich gegen einen Absturz abzusichern. Pure Euphorie sähe anders aus, erklären die Anhänger dieser Theorie. Sie glauben, dass Rücksetzer an den Aktienmärkten zwar jederzeit möglich seien, ein gröberer Crash in der Größenordnung von 20 Prozent oder mehr jedoch unwahrscheinlich ist.

Im Gegenteil: Eben weil Großinvestoren vorsichtig agierten und auch einen hohen Anteil an Bargeld zurückhielten, werde jede kleinere Korrektur für Zukäufe genützt. Als Folge stünde kurz- bis mittelfristig weiteren Kursanstiegen wenig im Weg – vor allem, wenn sich eine Impfung gegen das Coronavirus und ein Ende der Lockdowns abzeichnet.

Je nachdem, welcher Gruppe man eher Glauben schenkt, sind unterschiedliche Schritte zu setzen. Aktuell vorsichtige Investoren, nennen wir sie Gruppe Buffett, wissen die Geschichte auf ihrer Seite. Immer wieder heißt es, dass diesmal alles anders sei, letztlich aber kommt es immer gleich, und auf die Euphorie folgt das Tal der Tränen. Langfristig denkende Anleger müssen deshalb nicht gleich die Flucht ergreifen. Aber sie sollten zumindest ihren Bargeldanteil erhöhen und die aktuelle Lage keinesfalls als gute Möglichkeit zum großen Einstieg betrachten.

Die andere Gruppe verweist auf eine historisch tatsächlich einmalige Situation, in der Regierungen und Notenbanken die Weltwirtschaft in nie da gewesener Form unterstützen. Nicht nur, dass die US-Zentralbank Fed ihre Bilanz vorerst um zwei Billionen Dollar erhöht hat und diese in naher Zukunft noch um weitere zwei Billionen auf acht bis neun Billionen Dollar anwachsen lassen wird. Regierungen weltweit nehmen Rekordschulden in Kauf, was wiederum den Zentralbanken künftig notwendige Zinserhöhungen erschweren wird – eher werden sie hohe Inflationsraten denn einen Staatsbankrott zulassen, vor allem in den USA.

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