Undemokratische Herrscher wie Lukaschenko haben die Mittel, sich an der Macht zu halten. Der gesellschaftliche Mainstream aber ist nun gegen sie.
Vor einem Jahrzehnt eilte den belarussischen Bloggern ihr schneidiger Ruf als mediale Avantgarde voraus. Sie hatten sich jenseits des staatlich kontrollierten Mediensektors einen Freiraum erkämpft. Im Internet kommentierten sie das Alltagsgeschehen in der früheren Sowjetrepublik. Ihre Blogs waren Nischenprodukte, die jedoch eine treue Anhängerschaft fanden. Das Erfolgsrezept der Blogger: Sie beschrieben, was sie sahen. Ehrlich. Unmittelbar. Wahrheitsgetreu. Unideologisch. Sehr oft thematisierten sie die weniger glorreichen Seiten des Lebens im System Lukaschenko: Verschwendung, Borniertheit, Repressionen.
Zehn Jahre später gefährdet die digitale Wende die Macht des Autokraten Alexander Lukaschenko. Aus Nischenprodukten sind starke Marken geworden, die die Gesellschaft – trotz behördlicher Behinderungen – mit echter Information versorgen und zu ihrer Mobilisierung beitragen. In Belarus wurde die Coronakrise zum Kulminationspunkt. So viele Bürger wie noch nie nutzten nicht staatliche Informationsquellen, weil diese die Lage nicht schönredeten, sondern glaubwürdig informierten. Dazu kommen Technologien wie Messenger-Apps. Die in Russland und anderen Republiken der Ex-Sowjetunion ungemein beliebten Telegram-Kanäle werden von Tausenden abonniert und funktionieren wie Minimedien.
Es ist dieser Kontext, in dem aus Bloggern respektierte Persönlichkeiten werden. Und in denen ein durch das Land fahrender Videoblogger namens Sergej Tichanowskij sich anschickte, Präsidentschaftskandidat zu werden. Was passierte, ist bekannt: Er sitzt im Gefängnis, seine Frau, Swetlana, wurde zur unerwarteten Ikone einer Bürgerbewegung. In den Tagen vor der Wahl mobilisierten sie und ihr Team Tausende Menschen über Twitter-Botschaften. Lukaschenko mag weiter der Herrscher von Belarus bleiben. Die Meinungsführerschaft aber hat er verloren.