Versagen

Pandemie-Vorbereitung laut Experten global katastrophal

(c) APA/AFP/RONALDO SCHEMIDT (RONALDO SCHEMIDT)
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Man hätte schon seit 15 Jahren auf eine Pandemie vorbereitet sein können, so Forscher in einem Artikel von „Foreign Affairs“. Anstatt Geld für die Terrorismusbekämpfung auszugeben, sollte mehr in das Gesundheitswesen investiert werden.

Regierungen engagieren sich derzeit weiterhin im Herunterspielen der Covid-19-Pandemie oder berühmen sich getroffener Maßnahmen. Doch global hätte die Menschheit bei vernünftiger Politik seit mindestens 15 Jahren gut vorbereitet sein können, sein müssen, stellen jetzt US-Experten in der einflussreichen US-Zeitschrift "Foreign Affairs" fest. Ihr Urteil ist vernichtend.

"Die Zeit für die Vorbereitung auf die nächste Pandemie läuft ab. Wir müssen entschieden und wirkungsvoll handeln", zitieren Michael Osterholm, Chef des Zentrums für Infektionskrankheiten an der Universität von Minnesota (USA), und der US-Dokumentarfilmer Mark Olshaker aus "Foreign Affairs" aus dem Jahr 2005. Damals hatte Osterholm, der erst am vergangenen Wochenende erneut Lockdown-Maßnahmen in den USA forderte, diese Sätze in einem Beitrag mit dem Titel "Vorbereitung für die nächste Pandemie" geschrieben.

"Die nächste Pandemie ist jetzt gekommen. Und obwohl Covid-19, die Krankheit durch das neue Coronavirus seit Ende 2019, noch längst nicht vorbei ist, ist es nicht zu früh für ein Urteil über gemeinsame, weltweite Vorbereitungsmaßnahmen. Dieses Urteil ist Verdammnis", stellen Osterholm und Olshaker fest. Weder auf längere Sicht noch für kurzfristige Maßnahmen hätte es in eineinhalb Jahrzehnten gereicht.

Milliarden in Terrorismusbekämpfung

"Jedenfalls haben die USA in den vergangenen 20 Jahren zahllos viele Milliarden in die Innere Sicherheit und in Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung gesteckt, um menschliche Feinde abzuwehren. Dabei hat man auf die viel größere potenzielle Gefahr von Mikroben vergessen. Terroristen haben nicht die Kapazität, den American Way of Life mit quietschenden Reifen zum Stillstand zu bringen. Covid-19 hat das leicht binnen weniger Wochen geschafft", heißt es in der aktuellen Ausgabe von "Foreign Affairs".

An Warnungen hätte es nicht gemangelt: SARS im Jahr 2003 mit 8.098 Fällen und 774 Toten weltweit, MERS seit 2012 und dazwischen die "Schweinegrippe"-Pandemie (A/H1N1) von 2009/2010. Doch nichts geschah, laut den Autoren des Beitrags.

Gesundheitsökonomie als Gefahr

Abhängigkeit von Arzneimittellieferungen aus China und Asien: "Eine Pandemie, welche chinesische Fabriken lahmlegt oder die Transportwege blockiert, gefährdet die Versorgung westlicher Spitäler mit Medikamenten, die auch sonst schon labil ist. So gut ein Spital im Westen auch sein mag, es ist nutzlos wenn Fläschchen und Behälter auf dem Ambulanzwagen leer sind."

Die Autoren rechnen auch mit einer Gesundheitsökonomie ab, die nur ans kurzfristige Sparen ohne mittel- und langfristiges Vorsorgen denkt: "Der finanzielle Druck auf Krankenhäuser und das Gesundheitswesen hat sie weniger resistent für zusätzlichen Stress gemacht." In einer Pandemie wie bei Covid-19 seien dann plötzlich mehr Beatmungsgeräte, mehr Arzneimittel für die Intensivstationen, mehr Kapazitäten zur Dialyse etc. verlangt. Die wären eben nicht vorhanden.

Neue Impfstoffe dringend benötigt

Mit SARS, "Schweinegrippe", MERS und Ebola in Westafrika zwischen 2014 und 2016 hätte sich klar gezeigt, dass man auch neue Impfstoffe für regionale Ausbrüche von Erkrankungen benötige: gegen Ebola, Lassa-Fieber, Nipah-Virus-Erkrankung und Zika, doch auch bei Fortschritten mit Public-Private-Initiativen wie CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovations) hätte sich gezeigt: "Obwohl CEPI seit Anfang des Jahres eine zentrale Rolle bei der Entwicklung einer Vakzine gegen SARS-CoV-2 spielt (...), zeigte gerade das Nichtvorhandensein einer größeren Aktivität gegen Coronaviren vorher, dass eben zu wenig Geld in die Pandemie-Vorbeugung investiert wurde."

Fazit, laut den Autoren: "Wären ausreichend viele finanzielle und pharmazeutische Ressourcen in die Entwicklung einer Vakzine gegen SARS aus dem Jahr 2003 oder gegen MERS aus dem Jahr 2012 gegangen, hätte man jetzt wahrscheinlich eine Vakzine-Plattform, auf der man aufbauen könnte (...)."

Nächste Pandemie könnte „The Big One“ sein

Auch kurzfristig hätte die Welt versagt: Zunächst durch das Unterdrücken der Informationen über den SARS-CoV-2-Ausbruch in Wuhan durch die chinesischen Machthaber, dann durch das Ignorieren der Gefahr auch durch Administrationen wie jene von US-Präsident Donald Trump.

Die Welt täte jedenfalls gut daran, zumindest jetzt an die Zukunft zu denken. Osterholm und Oshaker: "Abseits eines globalen Atomkrieges und der Langzeitfolgen des Klimawandels hat eine infektiöse Pandemie das größte Potenzial, die Gesundheit und die wirtschaftliche Stabilität der Welt zu zerstören." Die Berechnungen über die Spanische Grippe von 1918 gingen auf bis zu hundert Millionen Todesopfer, das wären heute etwa 400 Millionen Tote.

"Aber anders als vor hundert Jahren ist die Weltbevölkerung heute um das Vierfache größer und wir haben eine Milliarde Grenzübertritte und mehr pro Jahr", schreiben die Autoren. Reiseverkehr und das Eindringen des Menschen in die letzten unberührten Wälder und Habitate würden zu der Gefahr beitragen, ebenso die Mega-Metropolen mit ihren Armenvierteln. Im Vergleich zu Covid-19 könne die nächste Pandemie wirklich "The Big One" sein. Darauf - und auf ähnliche Ereignisse wie SARS-CoV-2 - müsse die Welt endlich wirkungsvoll vorbereitet sein.

(APA)

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