Belarus

Belarus: Polizei schießt mit scharfer Munition auf Demonstranten

Die Lage in Minsk nach der belarussischen Präsidentschaftswahl eskaliert weiter.
Die Lage in Minsk nach der belarussischen Präsidentschaftswahl eskaliert weiter.APA/AFP/SERGEI GAPON
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Nach den Präsidentenwahlen erlebte Belarus bereits die dritte Gewaltnacht in Folge. In Brest fielen Schüsse. In Minsk wurden 1000 Demonstranten festgenommen.

In Belarus (Weißrussland) hat die Polizei nach eigenen Angaben mit scharfer Munition auf Demonstranten geschossen. Es seien Schusswaffen bei den Protesten in der Stadt Brest im Südwesten von Belarus zum Einsatz gekommen, teilte das Innenministerium am Mittwoch mit. Mindestens ein Mensch wurde demnach verletzt.

Zu dem Schusswaffeneinsatz kam es demnach am Dienstag bei den Protesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko. "Eine Gruppe aggressiver Bürger mit Metallstangen in den Händen griffen Polizeimitarbeiter in Brest an", erklärte eine Sprecherin des Innenministeriums. Daraufhin seien Schusswaffen zum "Schutz des Lebens und der Gesundheit" der Sicherheitskräfte zum Einsatz gekommen. "Einer der Angreifer" sei verletzt worden.

Festnahmen in Minsk

Nach der dritten blutigen Protestnacht haben Sicherheitskräfte außerdem mehr als 1000 Demonstranten in der Hauptstadt Minsk festgenommen. Bei den Ausschreitungen seien 51 Protestierende und 14 Sicherheitskräfte verletzt worden, teilte das Innneministerium in Minsk mit. Nach eigener Darstellung wurden auch die angeblichen Organisatoren der Demonstrationen festgenommen. Sie hätten einen von ihnen in einem Hotel entdeckt und abgeführt, meldete die Staatsagentur Belta am Mittwoch in Minsk ohne Details zu nennen. Der Mann soll von dort aus Protestteilnehmer angeleitet haben. Auch zwei russische Journalisten sollen demnach festgenommen worden sein.

Im Nachrichtenkanal Telegram wurden Videos veröffentlicht, die zeigen, wie Uniformierte Zivilisten verprügeln und treten. Für den Abend wurden wieder Proteste erwartet. Die EU erwägt indessen neue Sanktionen gegen das autoritär geführte Land.

Es war bereits die dritte Protestnacht in Folge nach der Präsidentenwahl am Sonntag. Die Polizei setzte wieder Blendgranaten und Gummigeschosse gegen Demonstranten ein, wie Videos zeigten. Diese wehrten sich mit Steinen und Flaschen und bauten vereinzelt Barrikaden auf. Explosionen waren zu hören. Die Zahl der Verletzten war zunächst nicht bekannt. Am Dienstag sprachen die Behörden in Minsk von 200 Verletzten, die im Krankenhaus behandelt würden.

Telegram auf Seiten der Demonstranten

Nach Einschätzung von Beobachtern gingen die Sicherheitskräfte diesmal härter gegen Demonstranten vor als in den Nächten zuvor. Viele Straßen in Minsk waren abgeriegelt.

Hunderte Menschen beteiligten sich erneut in mehreren Städten des Landes an den Aktionen gegen Wahlfälschung. Ein genauer Überblick war zunächst schwierig, weil es in Belarus wieder erhebliche Probleme mit dem Internet gab. Die Behörden wollen mit dieser Taktik verhindern, dass sich Demonstranten vernetzen. Telegram-Gründer Pawel Durow schrieb auf Twitter, dass Programme gegen Netzsperren aktiviert worden seien, damit Telegram für möglichst viele verfügbar bleibe.

Wie viele Menschen in Polizeigewahrsam kamen, war zunächst unklar. Medien berichteten, dass auch Journalisten festgenommen worden seien. Die Rede war von massiver Gewalt gegen Reporter und Fotografen - auch gegen Journalisten, die in Belarus offiziell akkreditiert sind. Der britische Sender BBC in Russland berichtete, dass ein Filmteam von Sicherheitskräften angegriffen worden sei.

EU überlegt Maßnahmen

Die Proteste in dem Land zwischen Russland und EU-Mitglied Polen brachen nach Ende der Wahl am Sonntagabend aus. Die Wut vieler Menschen richtet sich gegen Staatschef Alexander Lukaschenko, der sich nach 26 Jahren im Amt an seine Macht klammert. Er drohte mehrfach mit dem Einsatz von Militär. Insgesamt wurden mit Stand Dienstag bisher mehr als 5000 Menschen festgenommen.

Das Außenministerium in Minsk wies am Abend Kritik aus dem Ausland am Vorgehen des Machtapparats gegen Demonstranten zurück. Die schnellen Erklärungen zahlreicher europäischer Politiker seien absolut inakzeptabel. "Es ist bereits geplant, schicksalhafte Entscheidungen für die Beziehungen unseres Landes mit der EU zu treffen", hieß es der Staatsagentur Belta zufolge.

Die EU kündigte indes an, die Beziehung zu Belarus gründlich zu überprüfen. "Dies könnte unter anderem beinhalten, Maßnahmen gegen jene zu ergreifen, die verantwortlich für die beobachtete Gewalt, ungerechtfertigte Verhaftungen und die Fälschung der Wahlergebnisse sind", sagte EU-Außenbeauftragter Josep Borrell im Namen der 27 Staaten. Allerdings hatte sein Sprecher zuvor bereits darauf verwiesen, dass für Sanktionsbeschlüsse die Zustimmung aller EU-Mitgliedsländer gebraucht wird.

Suche nach Verschwundenen

Am Dienstag war die Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja nach Litauen ausgereist. Ihre Mitstreiterin Veronika Zepkalo forderte am Abend den Westen auf, die 37-Jährige als Präsidentin anzuerkennen. "Ich appelliere an die Weltgemeinschaft: Bitte helfen Sie, den Wahnsinn in Belarus zu stoppen."

Maria Kolesnikowa vom Wahlkampfstab Tichanowskajas sagte dem "Spiegel" (Online), dass Mitglieder von Wahlkommissionen, die ehrlich ausgezählt hätten, nun unter Druck stünden, ihre Arbeit zu verlieren. "Wir versuchen, neue Jobs für sie zu finden." Derzeit werde auch eine Gruppe Freiwilliger aufgebaut, die nach Menschen suchten, die bei den Protesten verschwunden seien und wohl im Gefängnis säßen.

(Apa/red.)

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