Morgenglosse

Endlich wissen wir, wie wichtig Lehrer sind

Die Presse (Clemens Fabry)
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Zwei Prozent der Wirtschaftsleistung hat der Lockdown in Schulen und Kindergärten den Staat gekostet. Einer, der den Eltern zuvor über Nacht suggerierte, für die Bildung ihrer Kinder allein verantwortlich zu sein. Rückenwind bekommt davon nicht nur Kritik von feministischer Seite.

Endlich, ist man versucht zu sagen. Endlich gibt es eine in Zahlen gegossene Erkenntnis, die nicht nur der feministischen Kritik (einer einsamen pinken Parteichefin auf frauenpolitisch weiter Flur) an der Bundesregierung, die Kinderbetreuung und –bildung im Lockdown diskussionslos ins Private verschob, Rückenwind gibt: 7,2 Milliarden Euro kosteten den Staat jene acht Wochen Home-Schooling [premium], wie eine aktuelle Studie der Agenda Austria zeigt. Wem die gesellschaftspolitische Relevanz der Kinderbetreuungsfrage nicht ohnehin als Argument gereicht hat, der sei nun von deren BIP-Bedeutung überzeugt.

Am Montag wird ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann nach wochenlangem Warten präsentieren, was bei vermeintlichen Schulschließungen im Herbst passieren soll. Vermeintlich ist an dieser Stelle das Adjektiv der Wahl, denn die Schulen und Kindergärten im Land waren zu keinem Zeitpunkt geschlossen. Dabei haben sich viele Pädagogen und Schulleiter den derzeit grassierenden Bildungspopulismus nicht verdient. Denn wer sich in der Vergangenheit die Mühe machte und sein Ohr auch Stimmen außerhalb einer doch speziellen städtischen Blase schenkte, hat bald gemerkt, dass der Aufschrei in vielen Schulen verhallte – aus dem simplen Grund, dass sie weder wirklich geschlossen, noch deren Betreuungsangebote in Anspruch genommen wurden (nur zwei Prozent der Schüler waren vor Mitte Mai in den Schulen).

Was wir im Lockdown erlebten, war vielmehr ein Unterrichtsabbruch. Dass sich aber auch dieser nicht wiederholen darf, steht außer Frage, will man massive Langzeitfolgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch eine sich selbst überlassene, schlecht ausgebildete und – wie UN-Generalsekretär António Guterres sie nannte – verlorene Corona-Generation verhindern.

In der Rückschau aber zeigt sich, dass sich hinter den lauten Öffnungsrufen bestenfalls oppositioneller Populismus, schlimmstenfalls sozialer Druck und elterliche Angst vor Stigmatisierung verbirgt. Die berechtigte Kritik an seit Jahren bekannten Defiziten bei der digitalen Kompetenz von Pädagogen sowie der Ausstattung von Schulen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine eventuelle „Schließung“ von Bildungseinrichtungen für viele Eltern auch deshalb so bedrohlich wirkt, weil ihnen zuvor eine politische Elite im Lockdown suggerierte, völlig allein für die Ausbildung und Betreuung ihrer Kinder sorgen zu müssen.

Eine Politik, die die Verantwortung für den Schulunterricht über Nacht diskussionslos an pädagogische Laien abgibt, entwertet nicht nur die Arbeit der Experten, die dafür ausgebildet wurden, sondern gibt diesen das Gefühl, nicht systemrelevant zu sein. Gleichzeitig lässt man Eltern mit ihrer neuen Rolle als Vollzeitbetreuer völlig allein. Dem System, das dahinter steckt, stellt die aktuelle Studie deshalb zurecht ein Armutszeugnis aus. Dieses wird es auch weiterhin geben, wenn digitale Defizite nicht schleunigst beseitigt werden. Sonst wird auf den nun bewiesenen wirtschaftlichen ein womöglich noch größerer gesellschaftlicher Schaden folgen.

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