Am Herd

Fürsorgliche Kinder

„Bist du dir sicher, dass es für Kaffee nicht zu spät ist?“
„Bist du dir sicher, dass es für Kaffee nicht zu spät ist?“(c) imago images/Imaginechina-Tuchon (via www.imago-images.de)
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Antiautoritäre Erziehung kann mitunter dazu führen, dass die Kinder sich in deine Angelegenheiten einmischen (Spoiler: Ganz so ist es nicht).

Neulich in einem Wiener Café. Meine Freundin aus Tirol und ihre Tochter waren zu Gast, wir saßen im Schatten der Markise und plauderten, der Nachmittag schritt voran. Und schritt voran. Da orderte meine Freundin einen Cappuccino – und ihre Tochter schenkte ihr einen ernsten Blick: „Bist du dir sicher, dass es für Kaffee nicht zu spät ist?“

„Ha!“, dachte ich. „Ha!“ Die also auch. Hannah muss zwölf gewesen sein, als sie damit begonnen hat, mich auf diese seltsame Art zu betüdeln, wir liefen frühmorgens durch die Gassen von Florenz, ich völlig überwältigt von dieser so erhabenen wie schäbigen Schönheit, da zupfte sie mich am Ärmel und rief: „Achtung, Mama! Ein Auto!“

Jetzt muss ich zugeben, dass ich die Augen möglicherweise nicht auf die Straße, sondern auf irgendein pittoreskes Haustor gerichtet hatte, aber hey, ich habe ja auch noch meine Ohren, und vor allem habe ich es jahrzehntelang geschafft, nicht über den Haufen gefahren zu werden, nicht in Feldkirch, nicht in Wien und erst recht nicht in Florenz. Das sagte ich Hannah, aber es nützte nichts. Sie zupfte weiter.

Dabei blieb es nicht. In der Folge erinnerte sie mich an Zahnarzttermine, sorgte sich, ob ich pünktlich zum Elternabend komme, sie fragte mich, ob ich eh an den Regenschirm gedacht, die Pässe eingepackt und die Zugtickets nicht verloren hätte. Dabei habe ich noch nie in meinem Leben den Pass vergessen, komme prinzipiell nicht zu spät (zumindest so selten, dass sich dafür kein Zeuge fände) und ich würde niemals die Tickets verlieren, weil ich mich nämlich alle 15 Minuten rückversichern muss, dass sie an ihrem Platz sind, in der Innentasche des Rucksacks nämlich, wo sie hingehören.

Fürsorglich. Eine Zeitlang überlegte ich, ob meine nicht sehr autoritäre Erziehung dazu geführt haben könnte, dass die Kinder mir nicht mehr vertrauen, nach dem Motto: Wenn die Mama wegen einem Fünfer nicht schimpft, dann kann sie vielleicht auch keine Wetter-App lesen. Und ich erinnerte mich an einen Fall aus der Ratgebersendung „Der Hunde-Profi“. Das Tier war einfach nicht davon abzuhalten, zum Herrchen in den Pool zu springen – wie sich herausstellte, hielt der Hund seinen Besitzer für einen Welpen. Er wollte ihn retten!

Ist es das? Nehmen die Kinder uns nicht ernst? Oder geben sie uns nur etwas zurück – unser fürsorgliches: „Hast du eh den Schlüssel?“, unser „Wird dir so nicht kalt?“.

Meine Freundin schien sich jedenfalls nicht daran zu stören, dass ihre Tochter ihr nicht zutraute, selbst über den Zeitpunkt der letzten Dosis Koffein zu bestimmen, sie fand die Sorge ihrer Tochter sogar sehr nett.
Den Cappuccino trank sie trotzdem.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2020)

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