So weit sollen sie auseinander bleiben in einem Park in Santiago. Immerhin können sie einander zurufen. Anderen erging es ärger.
Psyche

Höhlt Isolation das Hirn?

Studien nutzen das unfreiwillige Großexperiment, das zur Eindämmung der Pandemie läuft, um die psychischen Folgen der Distanz zu klären.

Nach vielem Zögern näherte sich Mus der Marmelade, ich bemerkte ihre glänzenden Augen und das seidige Fell. Dann schlage ich das Kochgeschirr hinab. Es ist gelungen! Wenigstens habe ich jetzt einen Gefährten in meiner Einsamkeit. Zum ersten Mal, seit ich in der Höhle bin, fühle ich eine Woge der Freude. Sorgfältig hebe ich die Kasserolle hoch. Mus liegt auf der Seite, sie ist still. Verzweiflung überwältigt mich.“

So schilderte der französische Höhlenforscher Michelle Siffre – wie alle Menschen ein animal sociale – 1972, wie es ihm erging nach fast einem halben Jahr in selbst gewählter Isolation: Er hatte sich, in einem Auftrag der Nasa, zurückgezogen in die „Midnight Cave“ in Texas, um die Auswirkungen der Abgeschiedenheit von der Außenwelt auf die innere Uhr zu erkunden. Ausgestattet war er mit Lebensmitteln und Büchern. Über Erstere machten sich Mäuse her – er schlug sie tot –, Letztere wurden von Schimmel zerfressen, und er wurde bald auch zerfressen, von der Abgeschiedenheit, sie stürzte ihn in Depressionen, Panikattacken, Selbstmordgedanken.

»Isolation und Einsamkeit schlagen körperlich auf Herz und Kreislauf.«

So atmete er auf, als endlich wieder eine Maus auftauchte, er nannte sie „Mus“ und wollte sie fangen, versehentlich tötete er sie, kurz darauf brach er das Experiment ab. Was blieb, ist eine der eindrücklichsten Schilderungen der psychischen Folgen von Isolation, unter der – in milderer Form – seit Beginn der Pandemie Millionen litten und leiden. Auch körperliche Folgen sind zu befürchten: Isolation und/oder Einsamkeit schlagen aufs Herz und den Kreislauf, eine frühe Studie zeigte 1992, dass – über einen Zeitraum von fünf Jahren gerechnet – Alleinlebende ein 50 Prozent höheres Sterberisiko an entsprechenden Krankheiten hatten als solche mit Partnern.

Spätere Studien fanden eine ähnliche Größenordnung, sie entspricht der anderer Risikofaktoren, etwa dem des Rauchens von 15 Zigaretten am Tag. Physiologisch spielt viel mit, von erhöhtem Blutdruck bis zu oxidativem Stress, aber wie die „kausal wirken, ist unklar“, bedauerten Ning Xia und Huige Le (Mainz) in einem Review (Antioxidants and Redox Signalling 28, S. 837).

Noch unüberschaubarer ist das Langzeit-Ergehen der Psyche, schon Siffre gab ganz unabsichtlich zu denken, als er sich 2014 in einem Interview mit dem SPIEGEL an das Schlüsselerlebnis mit der Maus überhaupt nicht mehr erinnerte. Hatte er es verdrängt, hatte er es vergessen? Letzteres legen auch frühe Befunde nahe, die vor allem bei Älteren zeigten, dass das Gehirn unter Isolation und Einsamkeit leidet, ihm können schon nach relativ kurzer Zeit Konzentration und Gedächtnis abhandenkommen. Aber diese Befunde haben Unschärfen: Zunächst einmal muss unterschieden werden zwischen objektiver Isolation und dem subjektiven Gefühl der Einsamkeit, das sich durchaus auch bei Menschen einstellen kann, die alles andere als isoliert leben.

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