Kritik

Gesang, der schöne Götterfunken

Riccardo Muti (Archivbild).
Riccardo Muti (Archivbild).(c) APA/HANS PUNZ
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Jubel für Beethovens Neunte mit den Wiener Philharmonikern unter Riccardo Muti im Festspielhaus.

„Diesen Kuss der ganzen Welt!“ Das Unerhörte, die Überschreitung aller Grenzen in diesem Werk, schwang in dieser noch eine Spur steifen Matinee auch aus nicht musikalischen Gründen mit, bei der ersten von drei Aufführungen (noch am 15. und 17. 8.) von Beethovens 9. Symphonie – galten doch Werke mit Chor in Coronazeiten lang als undenkbar. Das Festspiel-Sicherheitskonzept aber greift dem Schicksal in den Rachen, wie es Beethoven selbst einmal formuliert hat: mit dem Virenteststäbchen in der Hand, und das regelmäßig, weitere Maßnahmen noch dazu. So harrte der formidable Staatsopernchor nicht, wie früher üblich, von Anfang an auf der Bühne aus, sondern trat zusammen mit den Solisten vor dem dritten Satz im Stillen auf – und war mit einer niedrigen Plexiglaswand vom Orchester abgetrennt. Aber so etwas als widrige Umstände zu bezeichnen wäre eine absurde Übertreibung: Hier gilt's der Kunst, mindestens so stark wie in herkömmlichen Sommern.

Kuss der Freude. Steht Riccardo Muti am Pult, gewinnt der weltumspannende Kuss im Zeichen der Freude zwei Bedeutungen hinzu. Zum einen umarmt Muti auch die Klangtradition der Wiener Philharmoniker, man könnte sagen: die Aufführungsgeschichte. Da leuchteten im Stirnsatz die Holzbläser im Tutti beinah so satt und prägnant hervor, als wären sie in Karajan'scher Manier doppelt besetzt, da mischten sich die Farben in einer niemals klobigen, aber doch sonoren Weise, Schattierungen in Dynamik und Tempo belebten den Vortrag – und schon die mystischen Quinten- und Quartenblitze, die den Nebel des Beginns durchzucken, reicherten die Streicher mit einem sehnsuchtsvollen Vibrato an. Doch Mutis Deutung erschöpfte sich keineswegs in einer Schönheit, die das mitkomponierte Schreckliche bloß mit schimmernder Patina überziehen würde. Denn zum anderen liest Muti das Werk auf Basis seiner Liebe zum Gesang. Sein Konzept zeigte also, wie das instrumentale Cantabile in Gestalt der aufkeimenden Freudenmelodie in allen Sätzen bedroht ist.

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