Regisseur im Gespräch

„Die Mafia kümmerte sich um die Ärmsten“

„Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“: Pierfrancesco Favino als Tommaso Buscetta.
„Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“: Pierfrancesco Favino als Tommaso Buscetta. (c) Filmladen
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„Wir haben einen ausgesprochen schwachen Staatssinn“, sagt Marco Bellocchio über die Italiener. In „Il Traditore“ zeichnet er einen Mann, der die Gesetze der Mafia brach – und in Sizilien als gemeiner Verräter galt.

Die Todesziffer steigt und steigt: Mit schneidender Nüchternheit hält Marco Bellocchios „Il Traditore“ die Opfer blutiger Verteilungskämpfe zwischen verfeindeten Mafiaclans während der 1980er-Jahre fest. Mittendrin, wie ein Fels in der Brandung: Tommaso Buscetta, fantastisch gespielt von Pierfrancesco Favino: In Brasilien verhaftet und an die Justiz seiner Heimat ausgeliefert, hat er die Omertà, das Gesetz des Schweigens, gebrochen. Seine Aussagen vor Gericht bringen die Macht der Cosa Nostra erstmals so richtig ins Wanken. Anstatt dem Informanten ein strahlendes Denkmal zu setzen, porträtiert Bellocchio ihn als dunkle, enigmatische Figur – als Altgläubiger einer ehrenwerten Gesellschaft, die als solche nie existiert hat. „Il Traditore“ wurde Bellocchios größter Kinoerfolg in Italien. „Die Presse“ sprach mit dem Regisseur über Form und Inhalt seines Mafiafilms.

Die Presse:Eigentlich sollte Ihr Film nicht „Il Traditore“ – also „Der Verräter“ – heißen, sondern „I Traditori“, im Plural. Schließlich sind die wahren Verräter an den Idealen – sofern man im Zusammenhang mit organisiertem Verbrechen über solche sprechen kann – jene Mafiosi, gegen die sich die Hauptfigur Tommaso Buscetta mit seinen Aussagen auflehnt.

Wir haben den Titel ausgesucht, weil er mehr Wucht hat: Die Einzahl „traditore“ klingt im Italienischen kraftvoller als „traditori“. Und weil Buscetta immer noch als Verräter gesehen wird. Er hat Verbrecher angeklagt, die in der Hierarchie des Verbrechens über ihm standen. Wer mit Richtern und der Polizei kooperiert, ist in den Augen der Mafia und ihrer Anhänger unten durch.

Wie wurde Buscetta damals von der Bevölkerung wahrgenommen?

Widersprüchlich. In Sizilien galt er als gemeiner Informant: „Buscetta“ entwickelte sich im Mafiauniversum zu einem Schimpfwort, mit dem man nur seine ärgsten Feinde bedachte. Doch alle, die außerhalb dieser Welt lebten, sahen ihn als Hoffnungsträger. Sein Mut nährte den Glauben, das tägliche Blutbad des Bandenkriegs könnte ein Ende nehmen.

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