Sportevents ohne Zuschauer wirken steril. Aber Massen waren mir stets suspekt, und Canetti ist bis heute gültig.
Sportveranstaltungen in leeren Stadien sind eine triste Angelegenheit. Selbst Wettkämpfe zwischen Spitzenmannschaften ähneln den Spielen von Schulklassen. Nie hätte ich gedacht, dass mir Massen abgehen würden. Ich mag nämlich Menschenansammlungen nicht. Sie sind mir unheimlich, seit ich als Jugendlicher einmal erlebt habe, wie Fussballfans einen Schiedsrichter verfolgt und belagert haben. Ungern gebe ich zu, dass ich damals als Gaffer enttäuscht war, weil „nicht mehr passiert“ ist: Als ob die Angst eines gehetzten Menschen „nichts“ wäre. Es war ein Erlebnis, das die Reue des nächsten Tages in sich trug.
Jetzt gibt es in Stadien keine Zusehermassen mehr. Man versucht, sie durch Pappfiguren zu ersetzen und Sprechchöre in der Art amerikanischer Sitcoms einzuspielen. Aber das kommt nicht an die spontanen Reaktionen von Stadionmengen heran. Es wirkt steril. Die Masse ist ein lebender Organismus, kein vorbereiteter Tonträger.
Selbstaufgabe des Ich
Seit meinem Jugenderlebnis frage ich mich, was die Masse faszinierend macht. Wahrscheinlich ist es die Selbstaufgabe des Ich, seine Einbettung in ein größeres Ganzes, dessen Wucht und Macht man sinnlich erlebt. Die persönliche Verantwortung schwindet: Man tut ja nur das, was alle andern tun. Die Masse hat immer ein Feindbild. Bruno Bettelheim hat mir einmal erzählt, wie er in Wien von einer Hetzmeute umringt war. Er ist ihr knapp entgangen.