Morgenglosse

Beatmungsgeräte brauchen wir, aber Kultur?

Spread of the coronavirus disease (COVID-19), in Buenos Aires, Argentina
Spread of the coronavirus disease (COVID-19), in Buenos Aires, Argentina(c) REUTERS (Agustin Marcarian)
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Wie es mit der Kunst sein könnte nach Corona.

Es war beklemmend. Gestern erhielt ich den Newsletter mit der Staatsopern-Programmvorschau für Oktober. Mir wurde klar: Seit März war ich nicht im Theater, nicht in der Oper, nicht im Kino und bei keinem Konzert. Und ich weiß nicht, wie das im Herbst sein wird. Dabei habe ich mich zeit meines Lebens als Bildungsbürger und Kulturkonsument verstanden, der nichts ausließ. Kultur als lebensnotwendige Ressource – das war sie für mich und davon ist ja derzeit auch viel die Rede. Die rührige Festspielpräsidentin, der Albertina-Direktor, die Kulturministerin, sie reden ja ständig davon, dass die Kultur systemrelevant ist und daher nicht sterben, nicht Schaden nehmen darf. Wie wenn nicht noch nach jeder Krise die prekären Verhältnisse bei Kulturschaffenden zugenommen hätten! Wie wenn nicht auch in der Zeit vor der Krise ein Heer von Autoren, Musikern, Schauspielern usw. als Kleinunternehmer am Existenzminimum gelebt hätte. Die großen Gewinner des Kulturbetriebs haben das überdeckt.

Wahrscheinlich steckt die Idee von der „Systemrelevanz“ der Kultur in den Köpfen der Menschen, weil wir uns in Österreich gerade an die Gründung der Salzburger Festspiele nach dem Ersten und das Forum Alpbach nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern. Der Geist der Kultur habe damals geholfen, die Sinnhaftigkeit des Lebens wieder zu begreifen, wie ein rettendes Lebensmittel, wie wir es nach Ablauf der jetzigen Krise auch dringend nötig hätten. Die Kultur soll uns moralisch helfen, den Weg in die Normalität wieder zu finden. Sehr schön. Doch ist nicht die Funktion von Kultur ganz etwas anderes als Verheißung der Normalität? Georg Seeßlen hat drastische Worte dafür gefunden (nachzulesen auf culturmag.de): „Stellen wir uns für einen Augenblick die Künstlerin, den Künstler, die Wissenschaftlerin, den Journalisten vor, die sich hinstellten und behaupteten: Oh nein, meine Damen und Herren, für dieses System, für dieses System der Systeme, will ich ganz und gar nicht relevant sein. Ich würde im Gegenteil, um meine Seele fürchten, wenn ich mit meiner Arbeit, meiner Existenz, meiner Phantasie diesem System noch zu Stabilität und Legitimität verhelfen würde.“

Es wird schwierig. Soll man sich eine Kultur vorstellen, die nach Corona zu business as usual zurückkehrt? Oder eine Künstlerschaft am Subventionstropf, die dafür bezahlt wird, uns beim Wieder-Hoffnung-Schöpfen zu dienen und angesichts des Ernsts der Lage gefälligst nicht aufmüpfig zu sein? Eigentlich hatten wir unter Kunst immer etwas anderes verstanden.

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