Neu erfinden kann sich der 77-Jährige nicht. Er präsentiert sich als solide Alternative zu Donald Trump.
Wien/Wilmington. Abend für Abend hatten das Who's who der Demokraten und auch einige Republikaner ihren Punkt gegen den Präsidenten gemacht und ihn der Inkompetenz und des Management by Chaos geziehen. Am schärfsten und wirksamsten taten dies wohl Michelle und zuletzt Barack Obama, der mit seinem Nachfolger, dem lernunwilligen „Reality-TV-Star“, nach mehr als dreieinhalb Jahren erstmals in aller Öffentlichkeit abrechnete.
„Wir sehen uns auf dem Schlachtfeld“, beschied ihnen Donald Trump. Während der Präsident in Old Forge, nahe Scranton – der Geburtsstadt seines Herausforderers in Pennsylvania –, seine Attacken reiten wollte, wartet beim virtuellen Parteitag der Demokraten in der Nacht auf Freitag eine besondere Herausforderung auf Obamas einstigen Stellvertreter. Im Kongresszentrum seiner Heimatstadt, Wilmington, im Kreise seiner Familie, sollte Joseph Robinette Biden die Rede seines Lebens halten: Er sollte eine positive Botschaft formulieren, eine Vision für die 2020er-Jahre – und einen Kontrapunkt zum Trump-Credo „America first“.
Im Lauf seiner fast 50-jährigen Karriere, in 36 Jahren als Senator und acht Jahren als Vizepräsident, hat Biden, der sich als Schüler das Stottern durch Sprechübungen vor dem Spiegel abgewöhnt hatte, Abertausende Ansprachen gehalten. Ein mitreißender Redner und elektrisierender Wahlkämpfer ist er nie geworden. Im Präsidentschaftswahlkampf 1988 hatte er in Iowa sogar einmal eine Rede stellenweise plagiiert – die des britischen Labour-Chefs Neil Kinnock.