Filmfestival

Die Viennale serviert Äpfel und Giftpilze

(c) © Viennale
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Das Wiener Filmfestival findet heuer unter besonderen Bedingungen statt. Mancher internationaler Gast wird wohl spontan kommen, erste Programm-Highlights gibt es aber schon. Sie sollen durchaus berauschend wirken.

Er passt in keine der gängigen Kategorien, ist betörend im Anblick, ungeahnt in der Wirkung – und er hat es am liebsten in dunkler Umgebung: Ein wenig wie der Fliegenpilz soll die Filmauswahl bei der heurigen Viennale sein. Bunt-fröhliche Illustrationen des Amanita muscaria, nicht Tier, nicht Pflanze, dessen Gift neue Welten der Wahrnehmung erlaubt, schmücken das Plakat der 58. Ausgabe, die – wie jedes Filmfestival in diesem Jahr – unter besonderen Bedingungen stattfindet.

Drei Tage kürzer als sonst ist die Viennale heuer (von 22. 10. bis 1. 11.). Die Kinos werden weniger gefüllt, dafür mehr an der Zahl sein – fünf neue Spielorte, darunter das Admiral- und das Votivkino, ergänzen die Innenstadtsäle zwischen Gartenbau- und Stadtkino. Das sei eine logistische Notwendigkeit, sagt Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi, aber auch eine Geste der Kollaboration: Die Krise bringt neue Partner zusammen. Und sie erfordert Flexibilität. Welche Gäste nach Wien kommen könnten? „Das wird eine Last-Minute-Entscheidung.“ Aus den USA und Lateinamerika werden es wohl nicht allzu viele sein, meint Sangiorgi. Ein paar aber vielleicht doch.

Erste Einblicke. Das moderne US-Kino ist jedenfalls gut vertreten: So wird die Indie-Regisseurin Kelly Reichardt nicht nur ein Buch mit Essays, Interviews und Gedichten gewidmet, Sangiorgi pries ihren jüngsten Film „First Cow“ gar als einen der wichtigsten des Jahres. Ein ungleiches Männerpaar verdingt sich in diesem Neo-Western im Oregon der Goldrausch-Jahre durch heimliches Kuhmelken und Kuchenbacken. Ein Highlight im Viennale-Programm ist für Sangiorgi auch das Abtreibungsdrama „Never Rarely Sometimes Always“ von Eliza Hittman, das bei der Berlinale den Jurypreis gewann.

So zart wie leidenschaftlich sei das zweite Regiewerk von Matt Dillon, den man als Schauspieler kennt: „El Gran Fellove“, eine Doku über den kubanischen Musiker Francisco Fellove. Der Doku-Altmeister Frederick Wiseman ist mit seinem jüngsten Film „City Hall“, einem Porträt des Bostoner Rathauses vertreten. Mit einem Besuch des 90-Jährigen ist aber nicht zu rechnen.

Der ukrainische Regisseur Oleg Zenzow war von 2014 bis 2019 unrechtmäßig in Russland inhaftiert. Vom Gefängnis aus beauftragte er Freunde, aus einem seiner Theaterstücke einen Film zu machen. Regie führte er via E-Mail: „Nomery“ ist eine dystopische Parabel über das Leben in einer totalitären Gesellschaft.

Noch wächst das Programm. Das österreichische Kino bekommt eine eigene Schiene, kuratiert von den Leitern der Diagonale, die im März ausgefallen ist. Ein Special widmet sich dem heimischen Untergrund-Filmschaffen der 1970er, als es noch keine Filmförderung gab; eines dem Filmwerk von Christoph Schlingensief; die jährliche Kooperation mit dem Filmmuseum zeigt unter dem Titel „Recycled Cinema“ Found-Footage-Filme – also Filme, die aus anderen Filmen gemacht wurden.

Den Festivaltrailer drehte die Italienerin Alice Rohrwacher. Er zeigt ein keckes Spiel mit der Versuchung: Zu Klaviertönen und einem Pablo-Neruda-Gedicht beißt ein Mädchen in einen Apfel. Das ist jedenfalls bekömmlicher als ein Giftpilz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2020)

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