Am Herd

Leiser Rassismus

Eine Studie hat erhoben, dass in Floridas Kliniken zwischen 1992 und 2015 schwarze Neugeborene dreimal häufiger starben als weiße (Symbolbild).
Eine Studie hat erhoben, dass in Floridas Kliniken zwischen 1992 und 2015 schwarze Neugeborene dreimal häufiger starben als weiße (Symbolbild).(c) imago images/Greatstock (via www.imago-images.de)
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Was ist struktureller Rassismus? Dass in den USA schwarze Neugeborene dreimal so häufig sterben wie andere – aber nur, wenn ein weißer Arzt Dienst hat.

Zunächst einmal: Das ist keine Kolumne über die USA. Das ist eine Kolumne über uns. Über dich und mich und den am Nebentisch, die wir sicher sind, dass man uns, bei all den kleinen Schwächen und Fehlern, die wir haben, eines nicht vorwerfen kann: Rassismus. Rassisten, das sind jene, die sich wünschen, dass Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Die vor dem großen Austausch warnen. Die entsetzt wären, liebte die Tochter einen Schwarzen. Und die glauben, Intelligenz hänge von der Hautfarbe ab. Die anderen. Nicht wir.

Das würden wohl auch jene Kinderärzte sagen, die in den USA Tag für Tag und auch nachts um das Wohlergehen und manchmal das Leben der ihnen anvertrauten Neugeborenen kämpfen, eine Aufgabe, die ich mir schwierig vorstelle und schön. Es ist auch wirklich kaum denkbar, dass diese Ärzte sich bei ihren Entscheidungen und Handlungen davon leiten lassen, ob ein helleres Baby oder ein dunkleres ihrer medizinischen Hilfe und Fürsorge bedarf. Und doch hat eine in der Wissenschaftszeitschrift „Pnas“ publizierte Studie erhoben, dass in Floridas Kliniken zwischen 1992 und 2015 schwarze Neugeborene dreimal häufiger starben als weiße.

Wie geht das zu? Es könnte sein, dass Krankenhäuser, in denen viele schwarze Babys geboren werden, schlechter ausgestattet sind. Dass dort weniger erfahrene Mediziner tätig sind. Dass der Gesundheitszustand der Mütter schlechter ist – und damit auch jener ihrer Kinder. Das wäre eine Art von sozioökonomischem Rassismus, den man in den USA gut kennt, aber diese Erklärungen reichen nicht, es wurde nämlich auch die Hautfarbe der behandelnden Ärzte und Ärztinnen erhoben: Bei Schwarzen war die Rate fast ausgeglichen.

Wir haben es also mit Rassismus zu tun, nicht dem tobenden, lauten, sondern dem schleichenden, leisen. Den kennt jeder von uns, zumindest ein bisschen. Wir fühlen uns manchen Menschen näher, weil sie uns ähnlich sind. Wir werden misstrauisch, wenn einer uns fremd ist. Vielleicht sind wir eher geneigt, einer blonden Bettlerin ein paar Euro in den Plastikbecher zu werfen als einer schwarzhaarigen mit dunklen Augen – und hätten lieber einen Nachbarn, der Deutsch ganz ohne Akzent spricht. Meistens richten wir mit unserem leisen Rassismus nicht viel Schaden an.

Aber manchmal eben doch.

Ärzte in den USA können sich nun darüber empören, dass wieder einmal die Weißen unter Generalverdacht stehen. Oder sie könnten sich fragen, ob sie manchmal, gerade in kritischen Situationen, anders reagieren, weil das Baby sie ans eigene, heiß geliebte Kind erinnert. Sie könnten sich fragen, ob sie wirklich alle Menschen gleich behandeln, unabhängig von Rasse und Herkunft.

Und wir können das auch.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2020)

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