Belarus

Regimegegner marschieren in Minsk

Weiß-rot-weiß gegen Lukaschenko: Der Protest der Belarussen gegen seine umstrittene Wiederwahl lässt nicht nach.
Weiß-rot-weiß gegen Lukaschenko: Der Protest der Belarussen gegen seine umstrittene Wiederwahl lässt nicht nach. (c) APA/AFP/SERGEI GAPON
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In der Hauptstadt forderten am Sonntag 150.000 Menschen den Rücktritt des Präsidenten. Lukaschenko will nicht weichen und versetzt die Armee in Gefechtsbereitschaft.

Warschau/Minsk. Trotz Alarmstufe Rot des belarussischen Heeres haben sich am Sonntag erneut bis zu 150.000 Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Minsk versammelt. Sie forderten die Abdankung des seit 26 Jahren regierenden Staatschefs, Alexander Lukaschenko, die Freilassung der politischen Gefangenen und eine Wiederholung der am 9. August abgehaltenen Präsidentenwahl, bei der Lukaschenko nach offiziellen Angaben 80 Prozent der Stimmen erhalten haben soll. Die Demonstranten näherten sich kurzzeitig Lukaschenkos Residenz nahe dem Zentrum.

Wenig später lieferte die staatliche Nachrichtenagentur verstörende Bilder: Lukaschenko ließ sich mit einem Helikopter zu seiner Residenz fliegen. Der Politiker war in Schwarz gekleidet und trug eine kugelsichere Weste, in der Hand hielt er ein Sturmgewehr. „Sie rannten wie Ratten“, sagte er über die Demonstranten. Er dankte den Polizisten, die seine Residenz bewachten. „Ihr seid großartig!“ Es war ein grotesker Auftritt, der illustrierte, wie sehr Lukaschenko in die Ecke gedrängt ist.

In den sechs Regionen im Westen des Landes waren die Protestmärsche an diesem Sonntag besser besucht als im länger sowjetisch geprägten Osten des Landes. Überall wurde eine Schweigeminute für die bisher mindestens vier Todesopfer der seit zwei Wochen andauernden Proteste abgehalten.

Am Samstag war ein toter junger Mann in einem Waldstück bei Minsk aufgefunden worden. Er gehörte zu den Vermissten der blutig niedergeschlagenen Wahlprotesten. Laut Polizei soll er nicht an den Kundgebungen teilgenommen, sondern Selbstmord begangen haben. Die oppositionelle Internetzeitung Nascha Niwa veröffentlichte am Sonntag ein Video, das den Mann mit weiß-rot-weißer Flagge vor einem Spalier Omon-Sondertruppen zeigt. Die Leiche soll Spuren von Schlägen aufweisen. Das Verschwindenlassen von Opponenten hat unter Lukaschenko Tradition. Noch immer fehlt jede Spur von mehreren Oppositionellen sowie eines russischen TV-Teams, die Ende der Neunzigerjahre mutmaßlich von Todesschwadronen ermordet wurden.

Besonders aktiv wurde auch am Sonntag wieder in Grodno im Dreiländereck Polen-Litauen-Belarus demonstriert. Auf dem Leninplatz vor dem Rathaus versammelten sich rund 10.000 Opponenten des Langzeit-Präsidenten. Erst am Samstag hatte ebendort Lukaschenko selbst zu Tausenden mit Bussen herangekarrten Anhängern gesprochen. Der Staatschef verkündete, er hätte seine Truppen in höchste Gefechtsbereitschaft versetzt, weil die Nato einen Angriff vorbereite. „Truppen ziehen sich jenseits der Grenze in Polen und Litauen zusammen“, behauptete Lukaschenko. Hinzu kam der Vorwurf, Polen wolle seine einstigen Ostgebiete zurückerobern.

Grodno war in der Zwischenkriegszeit eine polnische Stadt und im 17. Jahrhundert ein wichtiges Zentrum der Polnisch-Litauischen Union. Bereits 2005 spielte Lukaschenko angesichts innerer Spannungen die „polnische Karte“. Warschau, Vilnius und das Nato-Hauptquartier in Brüssel wiesen Lukaschenkos Behauptungen umgehend zurück.

Protestverbot ab Montag

Das belarussische Heer verfügt über rund 50.000 Berufssoldaten und 350.000 Reservisten. Es ist mit moderner russischer Waffentechnik ausgestattet. Lukaschenkos Auftritt in Grodno befeuerte Spekulationen über einen bevorstehenden Militärputsch. Erst im Juni hatte er seine Regierung geschasst und den neuen Ministerrat vor allem mit Personen aus den Sicherheitsstrukturen besetzt. In Grodno setzte er seinen bisherigen Gesundheitsminister, Uladzimir Karanik, als neuen Gebietsverwalter ein. Dessen Vorgänger hatte einen Dialog mit der Opposition gesucht, während zweier Tage war das Demonstrieren in Grodno erlaubt, dann drehten die Behörden die Schrauben wieder zu. Ab dem heutigen Montag sollen auf Befehl Lukaschenkos im ganzen Land keine Proteste mehr stattfinden.

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die sich in Litauen im Exil befindet, wird indes heute mit US-Vizeaußenminister Stephen Biegun zusammentreffen. Biegun will danach nach Moskau weiterreisen und dort mit seinem russischen Amtskollegen über Belarus sprechen. Am Freitag hatte Tichanowskaja erklärt, weder sie noch ihr inhaftierter Ehemann planten, bei allfällig wiederholten Wahlen noch einmal anzutreten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2020)

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