Leitartikel

Bei antisemitischer Gewalt gibt es keinen Einzelfall

Synagoge in Graz: "Der Hass auf die jüdische Religion, jüdische Lebensart ist leider zu einem Common Sense der Radikalen geworden", schreibt Rainer Nowak.
Synagoge in Graz: "Der Hass auf die jüdische Religion, jüdische Lebensart ist leider zu einem Common Sense der Radikalen geworden", schreibt Rainer Nowak.APA/ERWIN SCHERIAU
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Wie ein 31-jähriger syrischer Flüchtling in Graz gezeigt hat, gibt es importierten gewaltbereiten Antisemitismus in Österreich. Wir haben schon genug davon.

Wenn eine Gesellschaft, eine Bevölkerung, ein Land dafür mitverantwortlich war, dass eine religiöse Minderheit mit gewaltsamen und mörderischen Methoden fast ausgelöscht wurde, dann hat diese Gesellschaft, diese Bevölkerung, dieses Land eine noch immens größere Verantwortung, diese kleine Minderheit zu respektieren und zu schützen. Auch wenn sich Gesellschaft, Bevölkerung, Land verändert haben.
Anders und direkt formuliert: Österreich hat eine immens hohe Verantwortung für die jüdische Bevölkerung. Und zwar eine noch höhere als die selbstverständliche gegenüber allen Minderheiten, Religionen und Menschen anderer sexueller Ausrichtung und natürlich ethnischer Abstammung als die sogenannte Mehrheitsgesellschaft. Österreich haftet nicht nur aufgrund des Holocaust für seine jüdischen Bürger und Einrichtungen, sondern weil der Antisemitismus, ein noch vor wenigen Jahren im Aussterben erhoffter absurder Hass, wieder zunimmt, wie so gut wie alle Studien und Umfragen zeigen.

Der Hass auf die jüdische Religion, jüdische Lebensart ist leider zu einem Common Sense der Radikalen geworden. Als in diesem Bestiarium wären: die alten und neuen Nationalsozialisten, die trotz Konzentrationslagern, ermordeter jüdischer Österreicher und einer jahrzehntelang geübten Erinnerungs- und Gedenkkultur nicht verschwinden, sondern weiterhin zäh vor sich hin hassen und andere von ihren rassisch motivierten Verschwörungstheorien zu überzeugen versuchen.

Dies ist die gemessen an der Anzahl an Übergriffen und Aktionen größte Gruppe. Die historischen Anknüpfungspunkte der FPÖ an die VdU, die Sammelpartei für Ex-NSDAP-Mitglieder, machte diese Partei immer anfälliger für Antisemitismus als andere. Dass sich führende Figuren wie Jörg Haider und Norbert Hofer davon distanzierten, war und ist ein Signal. Dass es in den FPÖ-Reihen noch Antisemitismus gibt, bestreitet aber wohl nicht einmal ein Alternative-Fakten-Fan wie Herbert Kickl.
Dann wäre da die große Gruppe an Antisemiten, die von Teilen unserer Gesellschaft negiert wurde, weil sie nicht in ihr klassisches Gut-Böse-Schema passt: Unter arabischen und muslimischen Zuwanderern ist der Anteil an Antisemitismus hoch, das kann religiöse Verblendung, die Attraktivität einfacher Verschwörungstheorien und/oder pädagogische Defizite als Ursachen haben. Der Grazer Fall zeigt, dass militanter Antisemitismus – im Konkreten verbunden mit dem Hass auf die weltliche Lebensweise und sexuelle Freiheit – zu Gewalt führen kann, die nicht zwangsläufig in Verbindung mit der Zugehörigkeit zu einer islamistischen Terrorzelle steht.

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