Hayat Eve Sigar

Türkei: Neue Funktion in Corona-App fördert "Kultur der Denunziation"

APA/AFP/OZAN KOSE
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Eine neue Funktion ermuntert Nutzer, Verstöße anzuzeigen, inklusive Fotos und Adressen. Experten befürchten eine „Kultur der Denunziation“.

Die türkische Corona-App hat eine neue Funktion, die laut Datenschützern eine "Kultur der Denunziation" fördern könnte. Die am Montag in der staatlichen Smartphone-App "Hayat Eve Sigar" ("Das Leben ist zuhause") freigeschaltete Funktion erlaubt es den Nutzern, den Behörden Verstöße anderer gegen Corona-Schutzmaßnahmen zu melden.

Dazu können Nutzer in der App nun Fotos, Adressen und Beschreibungen hochladen.

"Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Person, die einen Streit mit jemandem hat, ihn allein aus diesem Grund anzeigen könnte", sagte der Experte Faruk Cayir. Solche Fälle habe es in der Türkei schon gegeben.

Die im April veröffentlichte App ist weit verbreitet, da sie es ermöglicht, digitale Codes zu generieren, die für die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs notwendig sind. Darüber hinaus können Nutzer mittels der App auf einer Karte das örtliche Infektionsgeschehen sehen und Risikogebiete gegebenenfalls vermeiden. Seit kurzem ist es auch möglich, nachzuverfolgen, ob ein Infizierter an einem bestimmten Ort war und mit anderen in Kontakt stand.

App entspricht türkischem Datenschutzgesetz

Cayir sieht die App insgesamt problematisch, da "sie die Anonymität der Nutzer nicht gewährleistet und ihre Informationen mit vielen öffentlichen und privaten Institutionen, einschließlich Transportunternehmen, teilt". Dabei ist auch nicht klar, wie lange die Daten gespeichert werden.

"Es sollte einen Weg geben, um sicherzustellen, dass die Gesundheit der Menschen geschützt wird - und gleichzeitig die Privatsphäre und Sicherheit", sagte auch der Türkei-Experte von Amnesty International.

Den türkischen Behörden zufolge ist die App allerdings notwendig, um "Leben zu retten". Außerdem entspreche das Programm dem türkischen Datenschutzgesetz.

App ByLok als Beweis für Gülen-Anhänger

Der türkischen Regierung diente 2017 die App ByLock als zentrales Beweismittel gegen Anhänger der Gülen-Bewegung: Wer die Messenging-App auf seinem Smartphone hatte, gehörte aus Sicht von Ankara zur verbotenen Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die von der Regierung für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird.

Die Regierung argumentierte damals, dass die App nicht frei verfügbar gewesen sei, was sich aber widerlegen ließ. Dennoch wurden Zehntausende Menschen in der Türkei wegen der angeblichen Nutzung von ByLock festgenommen. Darunter auch der türkische Amnesty-Direktor Taner Kilic und der UN-Richter Aydin Sefa Akay.

(APA/DPA)

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